Zwischenruf 27 auf Akopol

Dem Land geht es gut – Glücksatlas,

Meinungsmache

Auf allen Ebenen der „Meinungsmache“ wird uns unermüdlich eingehämmert, dass es uns gut geht. „Die Deutschen“ profitieren am Allermeisten von der Einführung des Euro, betont die Kanzlerin wieder und wieder. In der Broschüre der CDU/CSU-Fraktion „Dem Land geht es gut“ schreibt Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder:

„Deutschland geht es gut. Es ist lange her, dass sich unser Land in einer so ausgezeichneten Verfassung präsentiert hat. Die Arbeitslosigkeit liegt teilweise schon unter der Drei-Millionen-Grenze. Die Jugend hat Ausbildung und Anstellung. Die Wirtschaft wächst, wovon alle profitieren: Die Arbeitnehmer durch sichere Arbeitsplätze und steigende Löhne, die Unternehmer durch stabile Gewinne, aber auch der Staat, weil mehr Steuern fließen und die Sozialabgaben geleistet werden.

Politik kann eine solche Entwicklung nicht erzwingen, sie kann sie nur fördern. Ich denke, dass die christlich-liberale Koalition dies geschafft hat.“

Einseitiger geht es ja wohl kaum. Die prekären Arbeitsplätze, Lohndumping, Niedriglöhne, Leiharbeit – alles Bedingungen, die direkt in die Armut führen bzw. bereits geführt haben, werden ausgeblendet.

Seit Ende September wissen wir außerdem, dass wir viel glücklicher sind, als wir es je vermutet haben, denn Prof. Bernd Raffelhüschen, Prof. für Volkswirtschaft, Uni Freiburg, hat geforscht und seine Ergebnisse in einem „Glücksatlas“ veröffentlicht. Diese „erfreuliche“ Nachricht wurde in allen Medien euphorisch verbreitet:

(Siehe Glücksatlas: http://www.nachdenkseiten.de/?p=10783). Albrecht Müller und sein Team von den „Nachdenkseiten“ bemühen sich seit Jahren, diese dreiste Manipulation der Meinung der Bürger mit Fakten zu belegen. Es lohnt sich jeden Tag wieder, in diese kritische Website hineinzuschauen, wenn man die gleichgeschaltete Berichterstattung satt hat und nach einer Gegeninformation lechzt. Die beschriebene Broschüre zusammen mit dem Glücksatlas ist dafür ein Paradebeispiel.

Für den Glücksatlas ausgewertet wurden Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP), für den seit 1984 regelmäßig Umfragen in rund 11 000 Haushalten durchgeführt werden. SOEP ist dem DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) angegliedert (über die Unabhängigkeit und Objektivität des Instituts lese man in Wikipedia unter Kontroversen: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Institut_f%C3%BCr_Wirtschaftsforschung).

Die Dreistigkeit, mit der Stimmung gemacht wird, ist wirklich erschreckend. Alle Menschen, die durch die einseitige Politik mit der extremen Begünstigung der Finanzwirtschaft in prekäre Lebenssituationen bzw. in die Armut getrieben wurden, müssen sich verhöhnt fühlen. Sie werden sich weiter von der Politik abwenden. Die tatsächlichen Zustände im Land werden ganz bewusst ausgeblendet. Armut gibt es demnach nicht oder kaum. Auch Erwin Teufel hat in einem vielbeachteten Vortrag vor CDU-Senioren geäußert, dass es Armut noch nicht gäbe. Wenn man selbst nicht betroffen ist, lässt sich vieles verdrängen. Offenbar sprach er vor einem Publikum, das gut abgesichert ist und für die auch nicht die Gefahr besteht, finanziell abzustürzen.

Im ZR 26 habe ich versucht darzustellen, wie stark unsere demokratische Grundordnung bereits dadurch beschädigt wird, dass die Belange der Bürger von unseren gewählten Volksvertretern gar nicht mehr berücksichtigt werden, wie die Abstimmung zum ESFS zeigte. Zusätzlich erschüttert mich immer wieder, mit welcher Unverfrorenheit Reformen als soziale Wohltaten dargestellt werden, obwohl sogar für Laien sichtbar wird, dass hier nicht nur argumentativ getrickst wird, sondern wie bei der aktuellen Rentenreform der Arbeits- und Sozialministerin wieder gute Geschäfte für die Versicherungen vorprogrammiert sind, wie bereits mit der Riesterrente geschehen.

Zur Veranschaulichung hier die Voraussetzungen für die geplante Rentenreform:

„Von der Leyens Konzept sieht eine steuerfinanzierte Zuschussrente für Geringverdiener in Höhe von 850 Euro vor, die aber an umfangreiche Bedingungen geknüpft ist. In den ersten zehn Jahren ab 2013 müssen die potenziellen Empfänger 40 Jahre Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung nachweisen, wozu neben Beschäftigung auch die Schulbildung ab 17 Jahren, alle anderen Ausbildungszeiten, Arbeitslosigkeit und Schwangerschaft gehören. Von den 40 Jahren müssen 30 Jahre Beitragsjahre sein, dazu gehören neben Beschäftigung auch Kindererziehung und Pflege, sowie Wehr- und Freiwilligendienst. Zudem sind fünf Jahre private Zusatzvorsorge erforderlich, wie etwa die Riester-Rente. Ab 2023 sollen dem Konzept zufolge 45 Jahre Zugehörigkeit zur Rentenversicherung und 35 Beitragsjahre Voraussetzung sein. Die Anforderungen an die zusätzliche Altersvorsorge werden schrittweise erhöht, bis sie ebenfalls 35 Jahre erreichen.“

Wie viele – oder besser wie wenige – werden diese hohen Hürden in diesem „reformierten“ Arbeitsmarkt wohl überspringen können. Vorgesehen ist diese „Reform“ doch für Menschen, die in ihrem Leben wenig verdient haben, verdienen bzw. verdienen werden. Die Forderung einer 5 jährigen Zusatzversorgung ist deshalb eine Unverschämtheit. Wovon sollen Geringverdiener eine private Zusatzversicherung zahlen können, wenn der „Verdienst“ kaum zum täglichen Leben reicht? Die Absichten sind nicht zu verkennen. Es soll dem Staat möglichst wenig kosten und es soll den Anschein einer „sozialen Gerechtigkeit“ erwecken. Man sollte davon ausgehen können, dass Frau von der Leyen und ihren Beratern diese Fakten bekannt sind. Umso befremdlicher wirkt die als großartige Geste dargestellte „Reform“, die man nur als Verhöhnung dieser betroffenen Bürger bewerten kann, die durch die Jahrzehnte verfehlte Politik um ihre Lebensqualität gebracht werden.

Leider ist diese angekündigte „Reform“ nicht das einzige Versatzstück, das die Ministerin auf den Weg gebracht hat. Im Rahmen der Hartz IV-Erhöhung um 5 Euro wurde ihr das Bildungspaket für bedürftige Kinder abgerungen. Wirkungsvoll wurde auch hier vom BMSA die soziale Großtat des Ministeriums verkündet. Die Bilanz ist ein halbes Jahr nach der Einführung ernüchternd. Das von vielen Seiten als „Bürokratiemonster“ beschriebene Paket wird von den Betroffenen längst nicht in dem Maße angenommen, wie es erwartet wurde. Aber statt sich zu fragen, warum man diese Kinder nicht erreicht, ob man evtl. an den Bedürftigen vorbeigeplant hat, sind die Schuldigen natürlich die Eltern dieser bildungsfernen Kinder. Man geht nicht von der Situation der Anspruchsberechtigen aus, sondern stülpt ihnen etwas über, was sie anzunehmen haben.

Es wird viel über konservative Werte und christliche Leitkultur geredet. Für mich gehören dazu als Basis Begriffe wie Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit. In den genannten Beispielen kann ich nichts von diesen Grundtugenden erkennen. Aus meiner Lebenssicht sind sie jedoch die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.

Auch diese Beispiele zeigen, wie unsere Meinung „gelenkt“ wird, unterstützt von entsprechenden Medien. Gleichzeitig bedient man die Interessen der Versicherungsbranche. Dafür ist der Ritter des Glücksatlas, Prof. Bernd Raffelhüschen, ein Paradebeispiel. Er gilt als unabhängiger Experte für den demografischen Wandel und wird entsprechend häufig in Talk Shows u. a. Formaten um seine Meinung befragt. Ein Blick in Wikipedia genügt, um die intensive Vernetzung mit der Versicherungswirtschaft zu verdeutlichen.

„Raffelhüschens Forschungsschwerpunkte sind der demographische Wandel sowie die Systeme der Sozialen Sicherung. Er wirbt für eine Ergänzung des umlagefinanzierten Rentensystems durch eine kapitalbasierte Rente. In der Tradition der Freiburger Schule stehend, vertritt Raffelhüschen eine liberale Auffassung, auch bezüglich der Reform des deutschen Rentensystems. Die Entwicklung eines Modells führte zur Berufung in die Rürup-Kommission. Die Nebentätigkeiten Raffelhüschens in der Versicherungswirtschaft haben wiederholt zu Kritik geführt, da er als Wissenschaftler die kapitalgedeckte private Altersvorsorge propagiert. So ist Raffelhüschen Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO Versicherungsgruppe, sowie der Volksbank Freiburg. Des Weiteren ist er als wissenschaftlicher Berater für die Victoria Versicherung AG in Düsseldorf tätig. Er ist außerdem Mitglied des Vorstands der Stiftung Marktwirtschaft, wo er seit 2006 regelmäßig die Generationenbilanz herausbringt. Darüber hinaus ist er als Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) tätig. Raffelhüschen ist Beiratsmitglied der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.“ (Quelle: Wikipedia)

Man erinnere sich, dass die Rürup-Kommission die sogenannte Riester-Rente entwickelt hat, die für die Rentner wenig bringt (s. ZR 5), für die Versicherungswirtschaft goldene Zeiten einläutete. Carsten Maschmeyer vermarktete mit seiner AWD zusammen mit Minister Riester und dem Wirtschaftsweisen Bert Rürup diese Versicherung mit exorbitanten Gewinnen. Carsten Maschmeyer: „Es ist wie eine Pipeline, die man nur anzustechen braucht!“

Als Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO-Versicherungsgruppe bemüht Bernd Raffelhüschen sich ständig um weitere Einnahmequellen für seine Branche. Von Unabhängigkeit und Objektivität zu sprechen wäre wohl eine Farce. Das Image wurde zwar durch die Sex-Party-Affäre in Ungarn leicht getrübt, aber das verändert natürlich nichts an dem Geschäftsmodell an sich. So wäre es nicht verwunderlich, wenn wir demnächst erfahren, dass nach diesem Muster eine private Zusatzversicherung für die Pflege eingeführt werden soll.

Das alles geschieht natürlich „zum Wohle des Volkes“ und zwar mit Hilfe unserer gewählten Volksvertreter. Im ZR 26 habe ich versucht zu erläutern, wie stark unsere demokratische Grundordnung bereits dadurch beschädigt wird, dass die Repräsentanten des Volkes die Interessen der Bürger nicht mehr vertreten, wie die Abstimmungen in den Parlamenten bezeugen. Die Vernetzung mit entsprechenden Interessengruppen scheint so mächtig, dass die Belange der Bürger nicht mehr zählen. Die desolate Situation der Banken-Krise (angeblich Schulden-Krise), für die wir Bürger haften sollen, ist dafür das augenscheinlichste Beispiel.

In diesen Tagen wird es sowohl in Europa wie in den USA massive Proteste gegen diese Politik geben. Immer mehr Bürger erkennen, dass wir von einer immer mächtiger werdenden kleinen Gruppe von einflussreichen Akteuren beherrscht werden in enger Kooperation mit unseren Regierenden. In Deutschland besteht laut GG ein Grundrecht auf friedliche Demonstration. Wir werden sorgfältig beobachten müssen, wie die Polizei – die Ordnungsmacht – mit diesen Demonstrationen umgeht, welche Anweisungen sie von den entsprechenden Behörden bekommen. Was bis heute in Stuttgart nicht eindeutig zu erkennen ist.

Hoffen wir, dass alles friedlich verläuft und dass unsere Regierenden die Zeichen dieses Widerstandes erkennen und darauf entsprechend reagieren, damit unsere arg beschädigte Demokratie nicht noch weiter beschädigt wird.

Beate Liebers

PS:

Übrigens wurden am Dienstag den 11.10.2011 dem Landtagspräsidenten in Kiel mehr als 25.000 Unterschriften von „Mehr Demokratie“ für die beiden Volksinitiativen übergeben, die für das Land und den Bund angestrebt werden. Claudine Nierth und ihr Team haben es mit großem Einsatz geschafft, die nötigen Unterschriften zu sammeln. Das ist sehr ermutigend!

http://www.mehr-demokratie.de/magazin.html

Auch auf europäischer (sogar globaler) Ebene gibt es Bemühungen, die Demokratie wiederzubeleben. Am 30. Juni 2011 hat Gerald Häfner (Grüner im EU-Parlament) es geschafft, gemeinsam mit 70 Menschen aus aller Welt in Brüssel „Democracy International“ zu gründen!

http://www.democracy-international.org/

Über akopol

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Veröffentlicht am 15. Oktober 2011 in Bürgerbeteiligung, Bildung, Daten und Zahlen, Flensburg News, Hartz IV und Bürgergeld, Soziales, Wirtschaft, Zwischenruf und mit , , , , , , , , , , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 4 Kommentare.

  1. Jörg Pepmeyer

    Ein ergänzender Hinweis zu dem ausgezeichneten Beitrag von Beate: In ihrem Zwischenruf beschäftigt sich unsere Kolumnistin Beate Liebers ja diesmal mit der Schönrederei-Propaganda und Meinungsmache nicht nur der Bundesregierung. George Orwell nannte die von den Machteliten benutzte Technik, soziale und ökonomische Zustände und Dinge, denen man eigentlich nichts Positives abgewinnen kann, umzudeuten und sie in einen völlig neuen, sprachlich und gedanklich positiven Zusammenhang zu stellen, „Neusprech“. Andersherum könnte man auch sagen, dass es der Bundesregierung und interessierter Kreise zum Erhalt ihrer Macht derzeit insbesondere um die Kontrolle und Herrschaft über die gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse mittels zielgerichteter Propagandamethoden geht. Manche sagen auch dazu Gehirnwäsche. Mehr zum hochinteressanten Thema „Neusprech“ in einem ausgezeichneten Wikipedia-Beitrag unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Neusprech.
    Beate Liebers macht aber auch in ihrem Beitrag sehr schön deutlich, dass es insofern auch für die politischen Bewegungen jenseits der CDU und ihrer rechtskonservativen Helfershelfer darum gehen muss, diese totalitären Kommunikatiosstrukturen mittels eigener Kommunikationsmedien und -strategien aufzubrechen und den massenmedialen und gesellschaftlichen Diskurs über gute und verständliche Argumente nachhaltig beeinflussen zu können. Tatsächlich geht es aber letztlich in dieser Auseinandersetzung, auch wenn das keiner offen auszusprechen wagt, darum, die Kontrolle über die medialen und politischen Kommandohöhen zu gewinnen. Um dann die Gesellschaft tatsächlich zu demokratisieren und nachhältig verbessern zu können. Schlichtweg geht es damit auch um die Herstellung politischer (Gegen-)Macht. Unter ihrer Ergänzung zur Meinungsmache im ZR 27 zeigt sie dann sehr beispielhaft mittels einiger Linkverweise zu den Berichten von WELT ONLINE anlässlich der welteiten Proteste am letzten Samstag, dass selbst die konservative Presse offenbar tief beeindruckt von den Vorkommnissen in Asien, Europa und den USA ist und den vorgegebenen Sprachregelungen der Bundesregierung nicht mehr folgen mag. Das ist denn auch ein beredtes Zeichen dafür, dass die Bundesregierung sich bereits in der Defensive befindet. Und da sollte man sie weiterhin und mit neuen Protesten festnageln.

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    • Zu Herrn Raffelhüschen ist noch zu bemerken, dass er nicht nur Produkte mit in den Markt einführt, die eindeutig den Konzernen dienen, sondern auch noch die Frechheit und Unverschämtheit besitzt, die Rentner in übelster Form zu beleidigen und zu beschimpfen. In einem Vortrag in der Volksbank in Jever/Friesland hat er zu einem verbalen Tiefschlag der Extraklasse ausgeholt. Dieser Lobbyist bezeichnete die derzeitige Rentnergeneration als

      – demografische Zombies
      – nicht sterben wollende Hundertjährige
      – wie fühlt man sich, wenn man kein Problem hat, sondern das Problem ist?

      Darüber hinaus warf er den Rentnern vor, dass sie sich „wie gleichgeschlechtliche Paare“ verhalten haben und somit nicht für Nachwuchs gesorgt haben. Damit hat er wohl nur unseren Außenminister gemeint?

      Solche üblen Beleidigungen und Beschimpfungen sind wohl an Perversität nicht mehr zu überbieten und sind nach meiner Meinung Volksverhetzungen, die strafrechtlich zu verfolgen sind!

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