Archiv der Kategorie: Zwischenruf
Die regelmäßige Kolumne unserer Mitstreiterin Beate Liebers. Hier finden sich kritische Beiträge und Kommentare nicht nur zu kommunalpolitischen Themen sondern auch zu politischen Themen und Entwicklungen in unserer Republik und darüber hinaus.
Flensburg Fjord Tourismus GmbH (FFT): Gesellschafterversammlung entlässt Geschäftsführer Finn Jensen
Finn Jensen ab sofort von seinen Aufgaben freigestellt
Die Gesellschafterversammlung der Flensburg Fjord Tourismus GmbH (FFT) hat in ihrer Sitzung am 30.07.2013 beschlossen, den Geschäftsführer der FFT Finn Jensen von seinen Aufgaben freizustellen.
Herr Jensen hat die Position als Geschäftsführer der FFT zum 01.01.2010 aufgenommen. Vorher war er in leitender Funktion im Unternehmen tätig. In seinen Jahren in der FFT konnte der das touristische Profil der Stadt Flensburg deutlich schärfen und Flensburg als Reise- und Veranstaltungsstadt innerhalb Deutschlands und darüber hinaus positionieren.
In den kommenden Wochen wird es die vordringlichste Aufgabe des Gesellschafters der FFT sein, die Stelle des Geschäftsführers neu zu besetzen. Hierzu wird eine Findungskommission eingesetzt.
Pressemitteilung von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung der Flensburg Fjord Tourismus GmbH (FFT).
Auch er ein Opfer der „Strategiedebatte“?
Meine Güte, geht das schnell in Flensburg. Erst wird Maren Reimann vom TBZ ihren Geschäftsführer-Posten los, jetzt Finn Jensen. Dass möglicherweise nicht nur Finn Jensen, sondern auch Maren Reimann bei der strategischen Neuausrichtung städtischer Töchter und Unternehmen im Wege gestanden haben und man nur einen Anlass suchte, um sie loszuwerden, pfeifen denn auch so manche Spatzen vom Rathausdach
Mehr zu den Hintergründen der Entlassung von Finn Jensen auch in einem Artikel von Holger Ohlsen auf shz-Online vom 26.6.2013 Dienstwagen-Affäre – FFT-Chef macht Auto-Geschäft mit sich selbst unter: http://www.shz.de/nachrichten/lokales/flensburger-tageblatt/artikeldetails/artikel/illegales-auto-geschaeft-mit-sich-selbst.html
Mehr zur Entlassung der ehemaligen TBZ-Chefin Maren Reimann in zwei Beiträgen auf shz-online von Gunnar Dommasch vom 19.6.2013 Geschäftsführer der Stadtwerke übernimmt – Flensburg trennt sich von TBZ-Chefin Reimann unter: http://www.shz.de/nachrichten/lokales/flensburger-tageblatt/artikeldetails/artikel/flensburg-trennt-sich-von-tbz-chefin-reimann.html und von Holger Ohlsen vom 6.7.2013 Personalrat steht TBZ-Chefin bei unter: http://www.shz.de/nachrichten/lokales/flensburger-tageblatt/artikeldetails/artikel/personalrat-steht-tbz-chefin-bei.html
Zwischenruf 35 auf Akopol
Die Wahlen am 6. Mai 2012 werden Europa verändern!
„Dieser Wahlsonntag war eine Detonation. Jetzt sitzen wir im Rauch, der sich langsam lichtet. Wenn die Schwaden verzogen sind, werden wir sehen, dass nichts mehr so ist wie vor zwei Tagen“. (Misik in seinem Blog „Gerechtigkeit muss sein“)
Dieser Wahlsonntag mit entscheidenden Wahlen in Frankreich und Griechenland – aber auch in Schleswig-Holstein – wird uns sicherlich zur bleibenden Erinnerung werden. In Frankreich war das Ergebnis schon länger erwartet worden. Deshalb sah Angela Merkel sich bereits dazu veranlasst, zwar nicht ihren Fiskal-Pakt in Frage zu stellen, aber Möglichkeiten in Aussicht zu stellen, ihn mit Wachstumsinstrumenten zu ergänzen. Das chaotische Wahlergebnis, in dem die Mehrheit der Griechen die von Brüssel erzwungenen, massiven Sparauflagen ablehnt, zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wie vehement das Volk diese Ungerechtigkeit empfindet, dessen Ursachen sie nicht zu verantworten haben.
In Schleswig-Holstein wurde die CDU regelrecht „enthauptet“, da können die ca. 4 800 Stimmen Mehrheit gegenüber der SPD auch nicht mehr helfen. Trotzdem versuchen unsere mainstream konservativen Kommentatoren unserer Printmedien Jost de Jager noch davon zu überzeugen, er hätte die Wahl und den Auftrag, eine Regierung zu bilden. Die Realität ist schon weiter. Und schon beginnt die übliche Aufwiegelung gegen ein Bündnis jenseits von Schwarz gelb oder Großer Koalition. Es ist zu hoffen, dass Torsten Albig in dem angestrebten Bündnis zwischen SPD, Grüne und SSW daran festhält, einen moderaten Sparkurs zu fahren, der den Kommunen gleichzeitig noch Möglichkeiten zum Luftholen gibt, so wie er es angekündigt hat, und wie Hannelore Kraft es mit den Grünen in NRW schon eingeleitet hat.
Misik schreibt in seinem Blog: „Wer einigermaßen seine Sinne beisammen hatte und nur die Grundrechenarten beherrschte, wusste schon vor diesem Sonntag, dass die Desasterpolitik von „Merkozy“ & Co. falsch ist; dass sie dazu führen wird, dass uns hier die Trümmer um die Ohren fliegen. […] Und doch ist das, was sich da als Produkt vieler Millionen Stimmabgaben summiert, eine neue Botschaft, die erst die Wahl selbst ermöglicht hat. Eine Botschaft, die uns alle irgendwie aufrüttelt, wie aus einem seltsamen Alptraum. Bloß, wir sind jetzt wach, aber ob der Alptraum wirklich vorbei ist, das wissen wir noch nicht so genau.
Klar, die Protagonisten der neoliberalen Kamikaze-Politik werden natürlich nicht so einfach abrücken von ihren Vodoo-Ideen von der „Genesung durch Leiden“. Aber ab jetzt führen sie Rückzugsgefechte. Und das bedeutet immerhin, wie Paul Krugman formulierte:
≪ that both the euro and the European project now have a better chance of surviving than they did a few days ago≫”.
Albrecht Müller von den Nachdenkseiten ist da skeptischer. Er schreibt in seinem Beitrag vom 9.5.2012 „Man sollte den Zynismus, die Menschenfeindlichkeit und die Macht der neoliberalen Clique nicht unterschätzen „ u. a. :
„Wenn man sich die Szene bei uns im Land anschaut einschließlich der Attacken auf die betreffenden Völker und ihre dort bei den Wahlen erfolgreichen Politiker, wenn man sich einige Medienereignisse wie Jauch am vergangenen Sonntag anschaut oder die medialen Orgien zur Feier der angeblichen deutschen Sparpolitik, dann merkt man leider nichts von Rückzugsgefechten. Man muss davon ausgehen, dass die Vertreter der neoliberalen Ideologie – und dazu gehören die maßgeblichen Politiker hierzulande -, zynisch an ihrer Ideologie festhalten und ihnen das Wohl und Wehe der betroffenen Menschen schnurz egal ist.“ (Albrecht Müller)
Dazu muss man mit Verwunderung – und Entsetzen – zur Kenntnis nehmen, dass die Demonstration von Blockupy in Frankfurt am 19.Mai verboten wurde. Und das obwohl Attac als Veranstalter zusammen mit den anderen Organisationen sich schon immer von jeder Gewalttätigkeit distanziert haben. Wenn man dann daneben beobachten muss, dass man der NDP und entsprechenden Sympathisanten das Demonstrationsrecht aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Demonstration nicht verweigern darf – und das nicht nur in Sachsen – dann stellt sich doch wohl automatisch die Frage, ob hier dieses Grundrecht nicht nach Belieben interpretiert wird, gerade wie es in die politische Richtung passt?
Der Protest läuft. Wehret den Anfängen, kann man da nur ausrufen. Auch wurden bereits je anfänglich friedliche Demonstrationen – wie Stuttart21, Gorleben, und etliche andere – die nicht den politischen Richtungen entsprachen – gewaltsam niedergeknüppelt. In einer Demokratie!
Mir scheint, unsere so hochgelobte Demokratie wird immer weiter ausgehebelt, meistens schleichend, indirekt, nicht auf Anhieb erkennbar. So wurde z. B. der Einfluss der Gewerkschaft immer weiter minimiert, u. a. durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes. So haben die Leiharbeiter kein Stimmrecht. So hat es sich seit mehr als zehn Jahren eingebürgert, dass wir Bürger weder von den jeweils Regierenden noch vom Parlament in einschneidende Prozesse eingebunden wurden. Z. B. wurden die Hartz IV-Gesetze ohne öffentliche Debatte und ohne hinreichende Informationen – inklusive der zu erwartenden Auswirkungen – verabschiedet. Mir bleibt bis heute schleierhaft, wie die Mehrheit der Parlamentarier so schwerwiegende Veränderungen zu Ungunsten der Mehrheit der Bürger dieses Landes ohne Rückendeckung der Wähler verantworten konnte. Mit sturem Scheuklappendenken und Verdrängung der Realität wird mit der Floskel „Dem Land geht es gut“ bis heute die für die Gesellschaft so tiefgreifende Veränderung (der Pardigmenwechsel) kaschiert, wie die umfassende Verarmung nicht nur der Leistungsempfänger von Hartz IV, sondern zunehmend für Niedriglohnempfänger, Leiharbeiter und Rentner deutlich macht. Die Wirtschaft boomt (in Deutschland) und das Volk geht baden. Und mit ihm die Solidarität, das Mitgefühl, die Würde des arbeitenden Menschen und der Zusammenhalt in der Gesellschaft generell.
Der Spruch von Willy Brandt „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ hat sich leider seit Gerhard Schröder ins Gegenteil verkehrt. Die angekündigte Verfassungsklage von „Mehr Demokratie“ gegen den ESM und den Fiskalpakt, wenn er vom Bundestag und -Rat abgesegnet werden sollte, wird von Herta Däubler Gmelin und Christoph Degenhart (Staatsrechtler) vertreten. Hier geht es – wie bei vielen anderen und den genannten Gesetzen – darum, dass wir – die Bürger – nicht einbezogen und schon gar nicht gefragt wurden bez. werden. Die allermeisten Bürger haben keine Ahnung, worum es geht und welche Auswirkung die Zustimmung haben wird. Und genau das ist ja beabsichtigt. Unwissende Bürger lassen sich leichter handhaben (manipulieren).
Deshalb ist eine umfassende Aufklärung so wichtig, denn dann wird sich zeigen, dass die Mehrheit mit diesen einseitig zum Vorteil der Profiteure des Finanzmarktes formulierten Abkommen nicht einverstanden sein kann. Die Franzosen haben den Anfang gemacht, indem sie Nicolas Sarkozy abgewählt und Francois Hollande zum neuen Präsidenten gewählt haben. Dieser wird viele Widerstände überwinden müssen. Das chaotische Wahlergebnis in Griechenland zeigt zumindest eines ganz deutlich, die Griechen akzeptieren keine weiteren sinnlosen Sparmaßnahmen, die ausschließlich das Volk belasten und keineswegs die Ursachen beheben. Das Gleiche gilt für Spanien und Portugal. In Großbritannien haben die Torries wegen ihrer rigiden Sparpolitik in allen Sozialbereichen bei den jüngsten Kommunalwahlen empfindliche Einbußen hinnehmen müssen.
Roman Huber vom geschäftsführenden Vorstand von „Mehr Demokratie“ versucht deutlich zu machen, wie ernst die Situation ist: „Wir müssen und dürfen nicht hinnehmen, wenn Grundregeln der Demokratie aufgegeben werden. Und „alternativlos“ ist die von der Bundesregierung forcierte Politik schon gar nicht.“
Mit der Zustimmung zum ESM wird ein Gouverneursrat bekräftigt, der eigenmächtige Entscheidungen treffen kann, ohne die nationalen Regierungen und Parlamente zu fragen. Er unterliegt keiner juristischen Kontrolle und die Mitglieder genießen auch noch Immunität! (S. ZR 22) Ihm fehlt also jegliche demokratische Legitimation und Kontrolle! Übrigens wie bereits zahlreiche andere Organisationen auf wirtschaftlich, globaler Ebene, wie WTO, IWF und Weltbank!
Roman Huber weiter: „Dem Bundestag werden Kompetenzen weggenommen. Und Zwar unwiderruflich, nicht rückholbar. Das betrifft vor allem den Fiskalpakt. Damit werden unsere Wählerstimmen entwertet, argumentiert Prof. Degenhart. Das Volk könnte zukünftig wählen, wen es will. Was die eine Regierung eingebrockt hat, kann keine andere mehr auslöffeln.
Das geht zu weit. Ich sage das nicht so dahin. Das geht tatsächlich über das Grundgesetz und auch über die EU-Verträge hinaus. Über solcherlei Eingriffe in die Souveränität eines Staates (noch einmal: das sind wir!) kann nur das Volk selbst entscheiden! Hier geht es ans Eingemachte. Aber wen stört’s? Der Bundestag selbst hält still. Wer will schon gern Spielverderber sein bei den großen europäischen Würfen! Um so mehr kommt es auf uns an!“
So sah der Erkenntnisstand bereits vor dem Wahlsonntag am 6. Mai aus. Misik schreibt am Tag danach:
„Einen Tag nach den „Europa-Wahlen“ in Frankreich und Griechenland lichten sich erst langsam die Nebel, und es ist klar: Es ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Es war eine Revolte gegen die extremistische Merkel-Schäuble-Politik in Europa, die Europa auf einen Selbstmord-Pfad brachte.“
Der Widerstand gegen diese einseitigen Sparmaßnahmen zulasten der einfachen Bürger werden nach diesem deutlichen Wählersignal zunehmen. Es ist zu hoffen, dass durch diese Ereignisse viele Millionen Bürger in ganz Europa wachgerüttelt werden, was in den vergangenen Jahrzehnten langsam aber stetig an demokratischen Errungenschaften abgebaut wurden, sodass wir jetzt große Mühe haben, die einfachsten Rechte durchzusetzen. Erschreckend ist für mich immer wieder, dass es im Berliner Parlament nicht möglich ist, eine Mehrheit dafür zu bekommen, die seit Einführung der Hartz IV-Gesetze zutage getretenen menschenverachtende Sanktionspraktiken abzuschaffen. Sind denn alle von uns gewählten Vertreter blind geworden? Bewegt man sich in einer Raumkapsel Parlament ohne Verbindung zur Umwelt?
Es ist zu hoffen, dass nach diesem Wahlsonntag vieles in Bewegung gerät. Und vor allen Dingen, dass unsere Volksvertreter sich ernsthaft Gedanken machen , ob sie ihre Linie weiter so durchziehen können, ohne die Rückversicherung, was ihre Wähler wollen, wie es sich seit Jahren eingebürgert hat. Die vielen Nichtwähler und der immer geringer werdende Zuspruch für die Volksparteien sollte endlich zu denken geben und allmählich zu Konsequenzen führen.
Wenn tatsächlich eine „humane Gesellschaft“ angestrebt wird, wie es in vielen schönen Sonntagsreden zu hören ist, werden wir eine andere Weltwirtschaftsordnung erarbeiten müssen. Eine, die (tatsächlich, in echt!) auf die Wertschätzung jedes einzelnen Menschen gründet, die soziale Kompetenz in den Vordergrund stellt, auf der eine wirkliche Solidarität aufgebaut werden kann, anstatt in Leistungswettkämpfen die Schwachen sich selbst zu überlassen und noch auf diejenigen treten, die diesem mörderische Kampf nicht gewachsen sind (S. Hartz IV-Sanktionen!) Dann würden sich zusätzlich ganz viele derzeitige Probleme wie Klimawandel, Hunger großer Teile der Weltbevölkerung, usw. sehr viel leichter lösen lassen.
An einer neuen „menschengemäßen“ Wirtschaftsordnung wird intensiv gearbeitet und erreicht immer größere Kreise. Und sie reichen ja bereits weit in das konservative Lager hinein. Wer sich ernsthaft mit dem großen C befasst, wird die extreme Ausrichtung auf Gewinnmaximierung und der entsprechenden Ausbeutung der Arbeitnehmerschaft kaum akzeptieren können. Eine Wirtschaftsordnung, die dem Menschen dient! Das könnte die Ursache dafür sein, dass man Aktionen wie jetzt die von Attac und den mitverantwortlichen Organisationen in Frankfurt am 19. Mai auf jeden Fall ausbremsen muss. Mit dem neuerlichen Rückenwind durch die neue Situation nach den Wahlen in Frankreich und Griechenland scheint man doch etwas nervös zu werden.
Die nächste Zeit wird spannend werden. Es wird sich eine ganze Menge ändern (müssen).
Schaun mer mal.
Übrigens, Bundespräsident Gauck hat sich hinsichtlich eines Erfolges zu einer Verfassungsklage von „Mehr Demokratie“ gegen den ESM und den Fiskalpakt optimistisch geäußert: „Die Karlsruher Richter würden die Politik der Bundesregierung nicht konterkarieren!“ Ein Statement eines echten Demokraten im höchsten Amt des Staates, der in einer angeblichen Demokratie das Urteil des höchsten Gerichts in Deutschland vorwegnimmt?
Beate Liebers
Die angesprochenen Hinweise, stammen aus folgenden Adressen:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=13175
http://www.misik.at/sonstige/die-weisheit-der-griechischen-und-franzosischen-wahler.php
Zwischenruf 34 auf Akopol
Ist Joachim Gauck der richtige Präsident?
Am Sonntag den 18. März wird Joachim Gauck von der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt unterstützt von den vier Parteien CDU, FDP, SPD und Grüne, während die Linke Frau Beate Klarsfeld nominiert hat.
Die Begeisterung für Joachim Gauck scheint groß. Trotzdem haben eine ganze Reihe (nicht unbedingt linke) Persönlichkeiten und Verbände ihre Probleme mit Gauck.
Albrecht Müller von den Nachdenkseiten hat jetzt ein kleines Buch verfasst, in dem eine ganze Reihe meiner eigenen Vorbehalte genannt werden. Es erscheint am 16. März.
Damit möglichst viele Bürger sich selbst ein Bild von seinen Ansichten und Überzeugungen machen können, stelle ich den Beitrag komplett in den Akopol-Blog.
Mit vielen Grüßen
Beate Liebers
*******************************************************
Der Artikel:
„Der falsche Präsident“ – Er kann gefährlich werden, wenn es nicht gelingt, ihn zu befrieden.
Nach Umfragen ist die Zustimmung zum Kandidaten groß. Das ist kein Wunder. Fast alle Parteien und die Mehrheit der Medien unterstützen ihn. Aber wir, die Befragten und Betroffenen, wissen wenig über Joachim Gauck. Deshalb habe ich dieses kleine Buch geschrieben und möchte Sie herzlich bitten, die Informationen über unser kommendes Staatsoberhaupt weiter zu tragen und auch in den nächsten fünf Jahren am Ball zu bleiben, also kritisch zu verfolgen, was er sagt und tut. Zu Ihrer Information folgt unten die Inhaltsübersicht. Albrecht Müller.
Selbstverständlich bilde ich mir nicht ein, die Wahl des neuen Bundespräsidenten beeinflussen zu können. Vielleicht kennen Sie aber noch Abgeordnete und andere Wahlfrauen und Wahlmänner der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, und können diese nachdenklich stimmen.
Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich den kommenden Bundespräsidenten in mancher Hinsicht für gefährlich halte, allerdings noch unterstelle, dass er ein bisschen zuhören kann und auch noch mit 72 Jahren Positionen zu revidieren vermag. Deshalb der freundliche Untertitel „Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, damit wir glücklich mit ihm werden.“
Wo Joachim Gaucks Vorstellungen und Rolle problematisch sind,
zum Beispiel:
- Er sieht nicht, dass unter dem Einfluss der neoliberalen Ideologie die Systemveränderung, vor der er ständig warnt, schon eingetreten ist. Zerstörerisch und menschenverachtend ist sie. Gauck findet nahezu alles gut und lässt sich in Position gegen jene bringen, die sich empören. Seine Botschaft ist Empört euch nicht! Damit bricht er dem aufkeimenden Protest die Spitze ab.
- Gauck glaubt in fast schon naiver weise an die Weisheit der „Märkte“. Von den Not-wendigen Regeln weiß er wenig.
- Wie sehr die Macht der Finanzwirtschaft schon die von ihm bewunderte Demokratie aushebelt, blendet Gauck aus.
- Er hat ein sehr enges Verständnis von Sozialstaatlichkeit und hat auch nicht in sich aufgenommen, welche große Bedeutung die soziale Sicherheit für das Erlebenkönnen von Freiheit hat.
- Dieses Defizit hat etwas damit zu tun, dass sich der kommende Bundespräsident offenbar nur sehr schlecht in die Lage von Menschen versetzen kann, denen es nicht so gut geht.
- Er redet immer den Schwachen ins Gewissen. – Wann stellt er sich erstmals gegen die Mächtigen, vielleicht sogar gegen den publizistischen Mainstream?
- Joachim Gauck neigt dazu, Popanze aufzubauen. Nicht jeder, der gegen die Spekulation auf den Finanzmärkten, gegen Klimawandel, gegen die weitere Nutzung der Atomenergie kämpft und sich grundlegende Gedanken macht, will die DDR wieder haben.
- Der kommende Präsident wird von der Beteiligung an Kriegen nicht abraten. Er pflegt tief sitzende Vorbehalte gegen die Friedensbewegung und andere Appeasement-Politiker. Das muss man aus der Lektüre seiner Texte leider schließen. Hier ist Revision besonders dringlich.
- Usw.
Mehr davon in der Inhaltsübersicht und selbstverständlich im Buch selbst. Als Autor würde ich mich natürlich freuen, wenn die Lektüre ein Gewinn für Sie wäre.
Das Potenzial an Menschen, die nach Kenntnis der Person und Gaucks Äußerungen ihr Urteil zumindest hinterfragen werden, ist vermutlich hoch. Das habe ich gestern bei einer Diskussion in Biberach schon gespürt. Der neue Bundespräsident täte also gut daran, seine Ansichten zu reflektieren, damit er ein Präsident aller Bürgerinnen und Bürger sein kann. Ich möchte möglichst viele Menschen dazu ermuntern, sich besser zu informieren und Gaucks Präsidentschaft konstruktiv kritisch zu begleiten. Deshalb dieses Buch.
Inhalt
- Empört Euch nicht! Joachim Gauck – der Anti-Hessel 7
- Der Beschöniger 13
- Grob unterschätzt: Die Macht der Finanzwirtschaft 16
- Die Freiheit des Einzelnen 22
- Auch solidarische Risikovorsorge ist ein Kernelement der Sozialstaatlichkeit 24
- Gauck warnt vor Systemveränderern und hat die neoliberale Systemveränderung nicht bemerkt 27
- Gauck bewundert die Märkte 31
- Ein bisschen ökonomisches Wissen wäre hilfreich 33
- Im Zweifel für den Kriegseinsatz 34
- Unverständnis für die Politik der alten Bundesrepublik 37
- Die Verständigung mit dem Osten 38
- Unausgegorenes zu den 68ern, zur Anti-Atom-Bewegung und den Wutbürgern 42
- Der Präsident des Sowohl-als-auch 44
- Joachim Gauck spaltet statt zu versöhnen 46
- Der Demokratielehrer kennt sein Lehrbuch – kennt er auch die Realität? 50
- Der TINA-Präsident 54
- Wegbereiter für Schwarz-Grün 57
- Nicht auf der Höhe der Zeit 59
Angaben zum Buch:
Albrecht Müller: Der falsche Präsident. Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, damit wir glücklich mit ihm werden. Erschienen im Westend Verlag. Erscheinungsdatum: 16. März 2012. 64 Seiten. 5,99 €, als E-Book 4,99 €.
Nachtrag:
Gerade kommt mir noch eine Erklärung auf den Tisch, die meine Skepsis in Sachen Krieg und Frieden beleuchtet. Auch sonst bestätigt diese Erklärung einiges von dem, was ich in meinem Buch beschreibe. Hier ist die
ERKLÄRUNG zur bevorstehenden Wahl eines neuen Bundespräsidenten
Hartwig Hohnsbein, Pastor i.R., Göttingen
Göttingen, 24. Februar 2012
Helmhard Ungerer, Pastor i.R., Göttingen
Am 18. März soll gemäß eines gemeinsamen Vorschlages der führenden Politiker von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen der Ex-Pfarrer Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten gewählt werden.
Die evangelische Kirche begrüßte unmittelbar nach dieser Vereinbarung seine Nominierung.
Ihr Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider wusste sogleich, dass der Nominierte „dem Präsidentenamt zu neuem Ansehen verhelfen könne“, weil „er gute Voraussetzungen für das hohe Amt mitbringe“.
Wir erklären dazu:
Die offizielle Kirche hat nicht für uns gesprochen.
Wir bezweifeln auch, dass der Ex-Pfarrer Gauck gute Voraussetzungen für das hohe Amt mitbringt.
Wir beziehen uns dabei auf Äußerungen, die seit seiner ersten Kandidatur 2010 bekannt geworden sind und die durchaus den Charakter von Grundsatzpositionen widerspiegeln:
- Erschreckend ist für uns, dass er in einem Interview Thilo Sarrazin für dessen unsägliches Buch Deutschland schafft sich ab, das er damals nicht einmal gelesen hatte, „Mut“ bescheinigt. Die „Junge Freiheit“ weiß deshalb, dass „Joachim Gauck ein guter Bundespräsident wird“, weil „Gauck Sarrazin lobte“.
- Zum Sozialstaatsgebot, das nach dem GG Art. 20 garantiert ist und von unzähligen Menschen in der evangelischen Kirche immer engagiert mitgetragen wurde, fällt ihm dieses ein: „Wir stellen uns nicht gerne die Frage, ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen.“
- Sein Problem mit der polnischen Westgrenze kleidete er in die Worte: „Einheimischen und Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten“.
Die mühsame Entwicklung einer „Neuen Ostpolitik“ in den 60er/70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, an der die evangelische Kirche mit ihrer „Vertriebenendenkschrift“ von 1965 einen beträchtlichen Anteil hatte und an der auch wir seinerzeit mitwirkten, weil erst dadurch das Tor zu einer Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn aufgestoßen werden konnte, sehen wir in seiner Haltung zur polnischen Westgrenze im Nachherein in Frage gestellt. - Der evangelischen Kirche im Westen und „westdeutschen Theologen“ in den 70er und 80 Jahren wirft der Ex-Ostpfarrer „Linkslastigkeit“ vor. „Linke in der Bundesrepublik inner- und außerhalb der Kirche hätten mit ihrer Kapitalismuskritik den Begriff Freiheit negativ besetzt“.
In jener Zeit waren wir in den westdeutschen Kirchen wie er in Ostdeutschland als Pastoren tätig. Wir maßen uns nicht an, seine Arbeit von damals zu überprüfen oder zu verwerfen. Wir verwahren uns allerdings dagegen, unsere pfarramtlichen Tätigkeiten, die er nicht kennen kann, als freiheitsfeindlich zu diffamieren.
Wir haben seinerzeit, angeregt durch Theologen wie Martin Luther King, Helmut Gollwitzer und Ernst Käsemann, später Dorothee Sölle, gepredigt, gebetet, demonstriert (und dabei oft üble Nachreden ertragen müssen), und zwar:
- gegen den amerikanischen Vietnamkrieg und für die Freiheit des vietnamesischen Volkes;
- gegen die südafrikanische Apartheid, die von mächtigen Banken und Konzernen Westdeutschlands unterstützt wurde, und für die Freiheit der Schwarzen, insbesondere auch für Nelson Mandela;
- gegen den Putsch in Chile und für die Freiheit des chilenischen Volkes;
- gegen eine Welt voller Waffen und gegen die atomare „Nachrüstung“ und für die Freiheit von Waffen und Waffenexporten. Zu dieser „Friedensbewegung“ in den 80er Jahren äußerte der Ex-Pastor Gauck, sie hatte „unrecht“. Martin Niemöller, Heinrich Albertz, Dorothee Sölle, Heinrich Böll und viele andere Christen wären danach so etwas wie Deppen gewesen.
Von einem „Bürgerrechtler“ wie Gauck befürchten wir, dass er, einmal im Bundespräsidentenamt, so wie er den derzeitigen Afghanistankrieg gerechtfertigt hat, dann auch weitere mögliche Kriegsbeteiligungen Deutschlands, auch um Rohstoffe, mit pastoralem Pathos rechtfertigen wird.
Der Weltrat der Kirchen hat 1948 als Grundaussage proklamiert:
„KRIEG SOLL NACH GOTTES WILLEN NICHT SEIN!“ und damit den Krieg als Mittel der Politik geächtet.
Deshalb sagen wir NEIN zu diesem designierten Präsidenten!
V.i.S.d.P : Hartwig Hohnsbein, 37079 Göttingen, Romstr. 70
Helmhard Ungerer, 37083 Göttingen, Am Hachweg 17
Zwischenruf 33 auf Akopol
„Pannendienst an der Gesellschaft“
Eine kritische Betrachtung der „Tafeln“ u. a.
Am 10. Dezember schilderte das Flensburger Tageblatt in einem Beitrag „Endlich raus aus der Schimmelwohnung“, wie der „Bürgerfonds“ einer alleinstehenden Mutter mit drei Kindern hilft, Möbel für ihre neue Wohnung zu bekommen, weil sowohl Kleidung wie Möbel durch den desolaten Zustand der bisherigen Wohnung total verschimmelt waren.
In der Adventszeit ist die Spendenbereitschaft besonders groß. Viele Organisationen, Verbände, Clubs u. a. sammeln Spenden, um bei Hilfsbedürftigen die größte Not abzumildern. Das angeführte Beispiel steht für viele andere und macht die Dimension der Armut in vielen Familien sichtbar. Der aktuelle Sozialatlas für Flensburg veranschaulicht das Ausmaß der Verarmung des „Prekariats“ in erschreckender Weise. Demnach sind 22,5 % der Flensburger Bürger auf Transferleistungen angewiesen und konnten an dem wirtschaftlichen Aufschwung nicht teilhaben. Auf diesem Hintergrund sind die ständige Verharmlosung dieser Tatsachen und die andauernde Beteuerung der Regierung, dass es dem Land gut geht, für mich empörend. Durch Schönreden oder Wegdiskutieren werden diese Probleme nicht gelöst.
Die erschreckenden Daten des Sozialatlas dürften verdeutlichen, dass auch noch so viele und gut gemeinte Spenden nur einen Tropfen auf den heißen Stein sein können und das Problem der Unterversorgung an sich nicht lösen können. Die Adventszeit dauert vier Wochen, die Not ist jedoch ganzjährig! Und sie nimmt immer noch zu.
Es ist zu hoffen, dass alle diejenigen, die viele Gelder eingesammelt haben und ihre Schecks an die gemeinnützigen Verbände übergeben haben, es damit nicht bewenden lassen. Vielmehr wäre es erforderlich, sich bewusst zu machen, dass nur eine Politik, die Begriffe wie „Solidarität und Gerechtigkeit“ Ernst nimmt, die Gesamtsituation ändern kann. Deshalb wäre es so wichtig, wenn alle Helfer sich dessen bewusst machen und diese Forderung an ihre gewählten Volksvertreter weitergeben.
Unter der Rubrik „Glaubenssachen“ brachte NDR-Kultur am Sonntag, den 13. November 2011, einen Beitrag von Hans-Jürgen Benedict: „Pannendienst an der Gesellschaft? Tafeln und Suppenküchen in der Kritik“. Er beschreibt dort wie in uneigennütziger, ehrenamtlicher Arbeit der „Tafeln“, Kleiderkammern u. a. die schlimmste Not gelindert wird, sieht jedoch die ständige Zunahme der Bedürftigkeit mit Besorgnis.
Hier ein Auszug der kritischen Betrachtung des Gesamtproblems:
„Wie es zugeht in den vielen Suppenküchen, das ist unter sozialrechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr akzeptabel. Die alltägliche Ausgrenzung Hunderttausender in einer reichen Gesellschaft ist ein Skandal, der durch Armutsprojekte erträglich gemacht wird. Angesichts des Umbaus sozialstaatlicher Leistungen und Leitbilder stellt sich die Frage, inwieweit Armutsprojekte gegen ihre erklärte Absicht instrumentalisiert werden, um staatlich organisierten Lastenausgleich durch private Wohltätigkeit weitgehend zu ersetzen.
Tafeln sind einerseits notwendig, weil sie die unzureichend gewordene staatliche Grundsicherung ergänzen. Sie sind andererseits fragwürdig, weil sie durch ihren Dienst zu einer Verfestigung von Armut beitragen. Tafeln sind nach Aussage des Tafel-Forschers Stefan Selke ein „Pannendienst an der Gesellschaft“, der gelbe ADAC-Engel für Arme auf der Versorgungsebene. Sie lindern Not, ohne ihre Ursachen zu bekämpfen. Tafeln können zwar zunehmende Spaltungsprozesse regional und lokal ruhig stellen, sie sind aber keine dauerhafte Lösung für das Problem gesellschaftlicher Spaltung.
Der vom Diakonischen Werk 2010 veröffentlichte Text mit dem Titel „Es sollte überhaupt kein Armer unter euch sein“ nennt das ein „Dilemma von Armutslinderung und Armutsverfestigung“. Tafeln dürften „nicht zum Bestandteil einer staatlichen Strategie zur Überwindung von Armut werden.“
Also im Klartext geredet: Je mehr Tafeln es gibt, umso größer ist das Versagen des Staates. Gerade Kirche und Diakonie mit ihrer Geschichte der Mildtätigkeit müssen aufpassen, dass sie diesen Prozess nicht unfreiwillig unterstützen. Sie würden mit ihrer Versorgungs- und Tafelhilfe in jene Unterstützungspolitik zurückfallen, die staatliche und kirchliche Entwicklungspolitik auf internationaler Ebene längst aufgegeben haben.
Denn was geschieht hier? Unzureichende Hartz IV-Sätze bringen einen Teil der Armen dazu, ihre Scham zu überwinden und zur Tafel zu gehen. Die Tafelnutzer müssen dabei nehmen, was ihnen die Überflussgesellschaft übrig gelassen hat. Sicher tragen Tafeln zur Entsorgung des Lebensmittelüberschusses von Supermärkten und Hotels bei, sie ersparen ihnen aber auch teure Entsorgungskosten. Und sie vermitteln den großen Handelsunternehmen zudem einen Imagegewinn, da sie ja etwas Gutes für die Armen tun. […]
Die vielen freiwilligen Helfer, die bei den Tafeln mitarbeiten, es sind fast 50.000, könnten sich darüber klar werden, was sie mit ihrer an sich lobenswerten Tätigkeit tun. Bedenklich genug: Eine Befragung der Universität Furtwangen ergab, dass die meisten ehrenamtlichen Mitarbeiter der Tafeln keine oder fast keine Vorstellung davon haben, wie das Armutsproblem politisch zu lösen wäre. Für sie ist das „Sofort helfen“ wichtig, nicht die politische Perspektive. „Handeln nicht Reden“ ist ihr Motto. Anders sei das bei den Hauptamtlichen, weiß Armutsforscher Selke; sie machten sich Gedanken über eine sogenannte Exit-Strategie und politische Anwaltschaft. […]
Viele Armutsprojekte feierten 2010 ihr fünfzehnjähriges Jubiläum, obwohl es eigentlich keinen Grund zum Feiern gibt. Nötig ist eine Politik gegen Armut und Ausgrenzung, die vom Staat koordiniert wird; die Diakonie kann dafür Impulse setzen durch beispielhafte Pilotprojekte. Sie kann und darf dem Staat aber nicht die Armutsbekämpfung abnehmen, indem sie die physiologischen Grundbedürfnisse der Armen auf dem Niveau von Suppenküchen sichert oder ihre minimale kulturelle Beteiligung stärkt.
Das ist keine Option für die Armen im biblischen und im sozialstaatlichen Sinn, sondern eher die überholte Armutsorientierung als Barmherzigkeit. Schafft Recht den Armen, lautet das biblische Motto. In der Sprache der Samariter-Erzählung: Die Straße von Jerusalem nach Jericho so gestalten, dass es nicht zu Überfällen kommt. Es geht darum, den Armen so zu helfen, dass sie nicht mehr zur Tafel oder zur Kirchenküche gehen müssen!“
Das sind deutliche Worte. Deshalb noch einmal meine Bitte an die Advent-Helfer und -Sammler von Spenden, den Volksvertretern deutlich zu machen, dass wir eine politische Lösung brauchen, um eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.
Damit wünsche ich allen Akopol-Leserinnen und -Lesern ein gutes und friedliches Neues Jahr!
Beate Liebers
Zwischenruf 32 auf Akopol
Anmerkungen zur Rede von Helmut Schmidt auf dem SPD-Parteitag
Am ersten Tag des dreitägigen SPD-Parteitages in Berlin hielt Altkanzler Helmut Schmidt eine vielbeachtete und vielgelobte Rede. Darin beschreibt er eindrucksvoll im historischen Kontext die Stellung Deutschlands bedingt durch die Größe und die zentrale Lage in Europa. Gleichzeitig schildert er, wie realistische und weitsichtige Staatsmänner aus Europa und Amerika sich nach dem zweiten Weltkrieg um eine Integration Deutschlands in ein vereintes Europa bemüht haben um „einer abermals denkbaren machtpolitischen Verführbarkeit der Deutschen“ vorzubeugen. Er macht deutlich, dass auch 65 Jahre nach Ende des verheerenden Krieges die Empfindlichkeiten unserer Nachbarstaaten ganz schnell wieder hochkochen könnten, wenn von deutschen Politikern Äußerungen fallen, wie z. B. von Volker Kauder „dass heute und künftig wieder Deutsch gesprochen werde in Europa“.
Es ist seine Überzeugung, dass nur ein vereintes Europa global noch eine Bedeutung haben wird im Verhältnis zu der schnell wachsenden Bevölkerung der anderen Kontinente. Wenn es Europa nicht gelingt mit einer Stimme zu sprechen, dann würde „der Prozess der weltweiten Aufklärung, der Ausbreitung der Rechte des einzelnen Menschen und seiner Würde, der rechtsstaatlichen Verfassung und der Demokratisierung aus Europa keine wirksamen Impulse mehr erhalten“. Mit anderen Worten, die Werte, die wir Europäer uns durch Jahrhunderte mühsam erkämpft haben, würden verloren gehen. (Hier die Rede von Helmut Schmidt im Wortlaut: http://www.abendblatt.de/politik/article2115273/Die-Rede-von-Helmut-Schmidt-beim-SPD-Parteitag.html Hamburger Abendblatt 4.12.2011 )
Aber sind wir nicht seit geraumer Zeit dabei, gerade diese Errungenschaften über Bord zu werfen, indem wir alles unter das Primat des Geldes stellen, indem wir alles ausschließlich aus der Perspektive der Profitmaximierung bewerten? Helmut Schmidt beteuert: „Auch als alter Mann halte ich immer noch fest an den drei Grundwerten des Godesberger Programms: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Dabei denke ich übrigens, dass heute die Gerechtigkeit vor allem auch Chancengleichheit für Kinder, für Schüler und für junge Leute insgesamt verlangt“.
Das sind die gleichen Begriffe, die Angela Merkel für sich und die CDU als „immer gleich bleibenden Kompass des christlichen Menschenbildes“ in Anspruch nimmt (s. ZR 31). Mir stellt sich immer wieder die Frage, wie können sich Politiker erhobenen Hauptes hinstellen und diese Grundwerte als Leitlinien für ihr Tun proklamieren und gleichzeitig mit ihrem politischen Handeln aktiv dazu beitragen, dass diese Grundsätze massiv beschädigt werden. Wo ist heute in unserer Gesellschaft noch Solidarität oder Gerechtigkeit zu erkennen. Man denke nur an die neoliberale Umgestaltung unserer Gesellschaft durch die rot-grüne Koalition mit den Hartz-IV-Gesetzen und der Liberalisierung der Leiharbeit einerseits und den außerordentlichen Vergünstigungen für die Unternehmerseite andererseits. Diese Richtung wurde von der Partei mit dem „christlichen Menschenbild“ begrüßt und noch weiter ausgebaut. Dass die hehren Grundwerte zu leerem Geschwätz verkommen, scheint kaum jemand zu stören, denn sonst müsste man doch wohl einen Sturm der Entrüstung erwarten.
Vielleicht ist es jedoch müßig, sich über solche Diskrepanzen ernsthaft Gedanken zu machen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die katholische Bischofskonferenz in ihrem Impulspapier „Das Soziale neu denken“ aus dem Jahr 2003 praktisch die christliche Lehre umformuliert hat, damit sie mit der Ideologie des freien Marktes kompatibel erscheint. Die Theorie der „Ökonomischen Ethik“ wurde von dem Wirtschaftsprofessor Karl Homann formuliert, der eine Professur für Wirtschafts- und Unternehmensethik u. a. an der Katholischen Universität Eichstätt innehatte. Seine Maxime: „Ökonomik ist Ethik …. mit erweiterten, zusätzlichen Mitteln. […] Da Egoismus des Menschen rational, Selbstlosigkeit dagegen irrational ist, kann man den Egoisten nur zur Moral bewegen, wenn sie gleichzeitig Profit bringt, und zwar maximalen“. Nur folgerichtig sagt die Ökonomische Ethik: „Wettbewerb ist solidarischer als Teilen und Egoismus die höchstmögliche Form von Solidarität. Langfristige Gewinnmaximierung ist kein Privileg der Unternehmen, sondern sittliche Pflicht. Moralische Intentionen werden durch den Wettbewerb geltend gemacht. Jegliche staatliche Eingriffe aus moralischen Gründen ruinieren die Wirtschaft“ (Karl Homann, Ökonomik und Ethik in Wirtschaftliche Perspektiven I ,1994).
Also ganz nach der Devise: „Was nicht passt, wird passend gemacht!“ In seinem Buch „Die DAX Ritter“ beschreibt Thomas Wieczorek wie „sich die Pharisäer unter Berufung auf Gott und ihre eigene Frömmigkeit hemmungslos die Taschen vollstopften und sich damit die Abscheu des überlieferten Christus zuzog. Und der Bezug zu heute drängt sich angesichts der galoppierenden Vergrößerung der Arm-Reich-Schere förmlich auf – in Gestalt einer der unverfrorensten Theorien der modernen Zeit: der Ökonomischen Ethik“. Maßgeblich beteiligt an der Erarbeitung des Impulspapieres der katholischen Bischöfe waren die (damaligen) Kuratoriumsmitglieder des INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft), Hans Tietmeyer und Paul Kirchhof.
Auf diesem Hintergrund muss niemand mehr ein schlechtes Gewissen entwickeln, wenn er sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert, denn er hat sogar den Segen der katholischen Kirche.
In Brüssel stimmte die Mehrzahl der EU-Staaten den Vorgaben von Angela Merkel und Nicolas Sarkosy zur Stabilisierung des Euro im Wesentlichen zu. Kernpunkte sind die Einhaltung der Schuldenbremse und die automatische Bestrafung bei Überschreitung bestimmter Kriterien. Das bedeutet die strikte Weiterführung der bisherigen Linie, d. h. konsequentes Sparen in allen sozialen Bereichen, Entlassungen im öffentlichen Bereich, Kürzungen der Gehälter, Renten und Transferleistungen. Das Volk wird also weiter für eine verfehlte Politik bluten, während die eigentlichen Verursacher nicht einmal erwähnt werden.
Helmut Schmidt äußert sich in seiner Rede auch zu den Spekulanten, die die aktuelle Krise verursacht haben, die man „Schuldenkrise“ nennt:
„Tatsächlich haben einige zigtausend Finanzhändler in USA und in Europa, dazu einige Ratingagenturen, die politisch verantwortlichen Regierungen in Europa zu Geiseln genommen. Es ist kaum zu erwarten, dass Barack Obama viel dagegen ausrichten wird. Das Gleiche gilt für die britische Regierung. Tatsächlich haben zwar die Regierungen der ganzen Welt im Jahr 2008/2009 mit Garantien und mit dem Geld der Steuerzahler die Banken gerettet. Aber schon seit 2010 spielt diese Herde von hochintelligenten, zugleich psychose-anfälligen Finanzmanagern abermals ihr altes Spiel um Profit und Bonifikation“.
Seine Empfehlung:
„Jedenfalls sollten die an der gemeinsamen EURO-Währung beteiligten Staaten gemeinsam für den EURO-Raum durchgreifende Regulierungen ihres gemeinsamen Finanzmarktes ins Werk setzen. Von der Trennung zwischen normalen Geschäftsbanken und andererseits Investment- und Schattenbanken bis zum Verbot von Leerverkäufen von Wertpapieren auf einen zukünftigen Termin, bis zum Verbot des Handels mit Derivaten, sofern sie nicht von der offiziellen Börsenaufsicht zugelassen sind – und bis hin zur wirksamen Einschränkung der den EURO-Raum betreffenden Geschäfte der einstweilen unbeaufsichtigten Ratingagenturen“.
So etwas wurde von unseren Regierungsvertretern nicht einmal angedacht!
Die Vereinbarungen von Brüssel müssen noch von den jeweiligen Parlamenten abgesegnet werden. Wenn wir von der Vergangenheit ausgehen, wird es weder in Deutschland noch einem anderen EU-Land Schwierigkeiten geben. Die von uns gewählten Volksvertreter werden ihre Zustimmung nicht verweigern, obwohl sie wissen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist.
Helmut Schmidt zitiert Jürgen Habermas: „Wir erleben tatsächlich jetzt zum ersten Mal in der Geschichte der EU einen Abbau von Demokratie!!“ (Ende des Zitats).
„In der Tat: Nicht nur der Europäische Rat inklusive seiner Präsidenten, ebenso die Europäische Kommission inklusive ihres Präsidenten, dazu die diversen Ministerräte und die ganze Brüsseler Bürokratie haben gemeinsam das demokratische Prinzip beiseite gedrängt! Ich bin damals, als wir die Volkswahl zum Europäischen Parlament einführten, dem Irrtum erlegen, das Parlament würde sich schon selbst Gewicht verschaffen. Tatsächlich hat es bisher auf die Bewältigung der Krise keinen erkennbaren Einfluss genommen, denn seine Beratungen und Entschlüsse bleiben bisher ohne öffentliche Wirkung.
Deshalb möchte ich an Martin Schulz appellieren: Es wird höchste Zeit, dass Sie und Ihre christdemokratischen, Ihre sozialistischen, liberalen und grünen Kollegen, sich gemeinsam, aber drastisch zu öffentlichem Gehör bringen“.
Diese Empfehlung eines alten, weitsichtigen Politikers könnte man ohne weiteres auf die nationalen Parlamente übertragen!
Aber: „Was nutzt Weisheit, wenn Dummheit Trumpf ist?“
Beate Liebers
Zwischenruf 31 auf Akopol
Ohne Kultur ist Flensburg fertig!
Und: „Goldman Sachs – Die Goldjungs an den Schaltstellen der Wirtschaft“
Die Leserin, der Leser mag sich verwundert fragen, was denn die Einsparungsforderungen von 170 000 Euro im Kulturbereich des Flensburger Haushaltes mit Goldman Sachs zu tun haben. Auf den zweiten Blick leider fast alles, denn nach der herrschenden Ideologie des Neoliberalismus wurden die Einnahmen des Staates durch etliche Gesetze bereits drastisch durch diverse Steuervergünstigungen auf allen Ebenen minimiert – „Verschlankung des Staates“ als Prinzip. Damit aber nicht genug. Steuervermeidung und Steuerhinterziehung im großen Stil bewirken zusätzlich, dass dem Staat weitere Mittel für die Erfüllung seiner Aufgaben fehlen.
Weitgehend unbekannt ist jedoch, wie Unternehmen aus der Finanzbranche den Staat und uns Steuerzahler melken. Auf dem Hintergrund der weitreichenden Ereignisse der jüngsten Vergangenheit im Finanzbereich in Europa hat Albrecht Müller (NDS) unter der Rubrik „Politische Korruption“ in einem Beitrag dargelegt („Titel: Die wichtigste Fertigkeit des modernen Topmanagers: die Steuerzahler ausnehmen“), welche verdeckten Subventionen allein die Allianz Versicherung auf Kosten der Steuerzahler erzielen konnte.
Ein Beitrag im Handelsblatt am 16. November macht deutlich, welche Bedeutung man der mächtigen amerikanischen Investmentbank zumisst: „Goldman Sachs – Die Goldjungs an den Schaltstellen der Wirtschaft“:„Government Sachs“ nennen Kritiker die Investmentbank wegen ihrer engen Beziehungen zur US-Regierung. Doch auch in Europa sitzen frühere Mitarbeiter von Goldman Sachs – wie Paul Achleitner – in Schlüsselpositionen.“
Albrecht Müller zeigt auf, dass alle neuen Spitzenpositionen in Europa mit Persönlichkeiten besetzt wurden, die durch die Goldman Sachs-Schule gegangen sind.
„Was haben Mario Draghi, Mario Monti und Lucas Papadémos gemeinsam? Der neue Präsident der Europäischen Zentralbank, der neue italienische Ministerpräsident und der neue griechische Ministerpräsident gehören in unterschiedlicher Stufung der europäischen „Sachs Regierung“ an.“
http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=11326
Der Allianz-Chef, Paul Achleitner, der nach dem Rückzug von Josef Ackermann für den Aufsichtsratsposten der Deutschen Bank designiert ist, gehört ebenfalls dazu. Alle Genannten sind Verfechter der herrschenden Weltwirtschaftsordnung und werden die Prinzipien weiter festigen mit entsprechenden Auswirkungen für die bereits jetzt kaum noch funktionsfähigen Strukturen, die für den Alltag der Bürger so entscheidend sind. Dazu gehören neben dem Vorhalten von Infrastrukturen im Verkehrsbereich genauso die Kinderbetreuung und die Bildung insgesamt bis hin zum Hochschulstudium. Nicht zuletzt gehören dazu auch alle Aktivitäten im Kulturbereich und ganz besonders diejenigen, die mit viel Kreativität (und äußerst sparsamen Mitteln!) eine unglaublich individuelle Vielfalt zustande bringen.
Ohne sie wäre Flensburg nicht die Stadt, die wir schätzen!
Um die kommunalen Haushalte zu konsolidieren, pocht die Landesregierung weiter auf Einsparungen in allen Bereichen. Wie die heißen Diskussionen im Flensburger Rat und der Verwaltung bezeugen, sind die Sparmöglichkeiten durch die ohnehin desolate Finanzausstattung bereits ausgereizt. Vielleicht sollte kurz daran erinnert werden, dass (mit fehlendem Verantwortungsbewusstsein für das Wohl der Bürger) das Vermögen unserer Flensburger Stadtsparkasse in den Sand gesetzt wurde. Auch durch riskante spekulative Aktionen der Stadtwerke hat die Stadt Millionen verloren. Ganz im Einklang mit dem Zeitgeist!
Durch den Beschluss einer Schuldenbremse hat die Landesregierung sich die Möglichkeit verbaut, z. B. bei höheren Steuereinnahmen flexibel (und evtl. weise) auf akute Probleme zu reagieren. Stattdessen besteht sie auf Erfüllung ihrer Forderungen hinsichtlich der Haushaltskonsolidierung, bevor sie eine Genehmigung erteilen will. Bei unseren Regierenden vermisse ich auf der Grundlage des oben Geschilderten eine realistische Einschätzung der Einsparmöglichkeiten der Kommunen generell. Die Erkenntnis, dass unser derzeitiges Wirtschaftssystem grundsätzlich nicht dem Wohle des Volkes dient, scheint man nicht realisieren zu wollen.
Die heftige Diskussion um Kürzungen und sogar Schließungen mühsam aufgebauter kultureller Strukturen, dürfte jedoch vielen Bürgern die Augen dafür öffnen, dass ein grundlegendes Umdenken erforderlich ist, wenn nicht die Funktionsfähigkeit des gesamten Gemeinwesens vor die Hunde gehen soll. Wie sollen auf der Grundlage dieser Spardiktate noch vernünftige Strukturen erhalten werden können.
Auf dem Parteitag der CDU in Leipzig hat Angela Merkel deutlich gemacht, dass die Zeiten sich ändern, der „Kompass des christlichen Menschenbildes bleibe jedoch unverändert bestehen“!
Und das sei: Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit!
Die Delegierten waren begeistert und haben der Parteichefin mit großer Mehrheit zugestimmt. Die Realität wurde auch hier draußen vor der Tür gelassen, denn laut Volker Kauder geht es dem „Land ja gut“ und wir sind so glücklich wie noch nie! (siehe ZR 27) Aus den Reihen der Delegierten wird wohl kaum jemand einen sozialen Absturz auf Hartz IV-Niveau befürchten müssen. Mit hohlen Phrasen, die in der Wirklichkeit nicht abgebildet werden, kann die extreme Unterfinanzierung primär der Kommunen, die durch politische Fehlentscheidungen zustande gekommen ist, nicht gelöst werden. Auch an der Parteibasis dürfte das nicht unbemerkt bleiben. Es wird viel Zivilcourage erfordern, solche Gedanken zu artikulieren.
Das ist jedoch nicht allein ein Problem der CDU. Der Bundesparteitag der SPD steht noch aus Anfang Dezember. Viel wäre gewonnen, wenn die Basis Tacheles reden dürfte und auf offene Ohren stoßen würde!
„Ehrlichkeit im Denken fördert Ehrlichkeit im Handeln!“ Aus „Gauner muss man Gauner nennen!“ Von Ulrich Wickert.
Beate Liebers
Zwischenruf 29 auf Akopol
Chaos pur in Cannes
Denn wer kann schon glaubhaft behaupten, dass er einen Weg aus dieser verfahrenen Situation kennt?
„Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Unter diesem Titel brachte das Flensburger Tageblatt am 20. Oktober einen Gastkommentar von Gabor Steingart, Chefredakteur des Handelsblattes. Dieser Beitrag macht überdeutlich, wie komplex die Materie ist und wie unübersichtlich die Gesamtsituation der Weltwirtschaft sich derzeit darstellt, sodass sogar Experten sich in Widersprüche verwickeln bzw. ihre Argumente nicht als logisch stimmig wahrgenommen werden können.
An den Anfang stellt er ein Zitat von Lenin: „Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muss man ihr Geldwesen verwüsten.“ Das kommentiert er folgendermaßen:
„Unsere Politiker sind auf dem besten Wege, Lenins Kampfauftrag zu erfüllen. An der Spitze der Verwüster finden wir Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Beide haben die Gestaltungsmacht des hohen Staatsamtes in ökonomische Zerstörungsmacht umgedeutet, deren Folgen bald für jedermann spürbar sein werden. Von der Marktwirtschaft hält die Kanzlerin seit jeher nicht viel.“ Als Beispiele führt er ihre damalige Absicht, Opel mit Milliarden zu subventionieren und ihr „Ausstiegsbefehl an die Energiewirtschaft“ an. Und jetzt seien die (armen) Banken dran, die „zwangsweise rekapitalisiert“ werden sollen.
Bei einer entschiedenen Ablehnung des herrschenden Weltwirtschaftssystems meinerseits ist diese einseitige Schuldzuweisung an die Politik meines Erachtens jedoch nicht gerechtfertigt und schon gar nicht die Behauptung, Merkel hielte nichts von der Marktwirtschaft. Man vergegenwärtige sich, welche einschneidenden Gesetze zur Lockerung und Förderung der Finanzwirtschaft unter Gerhard Schröder vorangetrieben und unter Merkel mit ihrem Finanzminister Peer Steinbrück noch einmal forciert wurden. Führten nicht diese neu geschaffenen Möglichkeiten dazu, dass sich gerade die Banken durch „innovative, strukturierte Finanzprodukte“ zu immer hemmungsloseren Spekulationen hinreißen ließen, die zu diesen schwerwiegenden Verwerfungen in der Finanzwirtschaft führten? Die intensiven Bemühungen von Josef Ackermann und anderen Vertretern seiner Zunft, Einfluss auf die Gesetzestexte im Finanzministerium zu nehmen, dürften auch Gabor Steingart bekannt sein. Hier die Schuld ausschließlich auf die Politik zu schieben, ist unfair und sachlich nicht einmal korrekt. Mit Hilfe effektiver Lobby-Arbeit wurden gemeinsam Voraussetzungen geschaffen, die diese Zügellosigkeit erst ermöglichten. Nicht ohne Grund hat LobbyControl die Deutsche Bank mit Josef Ackermann für die Lobbykratie-Medaille nominiert.
http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/2011/11/deutsche-bank-und-josef-ackermann/
Welchen Wert haben moralische und ethische Selbstverpflichtungen, wenn sie nicht eingehalten werden, offensichtlich nur zum schönen Schein formuliert wurden? Wie muss man es einordnen, wenn die Deutsche Bank und ihre diversen Töchter sich an Geschäfte mit Uranwaffen in Afrika beteiligen oder fruchtbares Ackerland aufkaufen, um Pflanzen für Biosprit anzubauen, das dann den einheimischen Bauern für die eigene Versorgung fehlt? (Quelle: Urgewald) Und haben nicht gerade die Banken an den Spekulationen auf Anleihen und Wertpapiere der in Not geratenen Staaten äußerst gut verdient? Dann fällt mir sofort wieder die Äußerung von Arbeitgeberpräsident Hundt ein: „Moral hat in diesen Bereichen keine Relevanz!“ (s. auch ZR 9) Oder man denke an sogenannte Leerverkäufe, bei denen Wetten auf Aktien abgeschlossen werden, die dem Wettenden nicht einmal gehören. Sie haben besonders dann katastrophale Auswirkungen, wenn es um Nahrungsmittel geht und weitere Hungersnöte von Millionen Menschen verursachen, weil sie dadurch noch teurer werden.
Wurden solche trickreichen, „ innovativen“ Spekulationsinstrumente nicht ausschließlich erfunden, um noch schneller die Gewinne zu maximieren? Mit „normalem“ Wirtschaften hat das wohl nichts mehr gemein. Wer sind diese cleveren Gehirne, die sich solche entarteten Tricks ausdenken? Die Folgen für die Wirtschaft – für die Allgemeinheit insgesamt – kommen in diesen Köpfen nicht vor. Verantwortung ist in diesen Kreisen offenbar ein Fremdwort. Das belegen sogar Berichte, in denen Broker von Goldman Sachs und Morgan Stanley befragt wurden, ob ihnen bewusst wäre, welche Katastrophen sie mit ihren Casino-Aktivitäten auslösen würden. Die freimütige Antwort war: „Das ist mir sch….egal!“ Nicht nur Heiner Geißler ordnet diese Art der „Finanzwirtschaft“ als kriminell ein. Ist das nicht ein erschreckendes Bild, dass diese Akteure keine Verantwortung, kein Gewissen mehr spüren können, dass sie so in ihrer Gewinnsucht gefangen sind? Muss man das nicht als Sucht bewerten und sind diese Akteure nicht therapiebedürftig? In meinen Augen sind das Psychopathen, die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen.
Die Voraussetzungen für diese verantwortungslosen Spekulationsgeschäfte wurden jedoch gemeinsam von Politik zusammen mit der Finanz- und Versicherungswirtschaft entwickelt, die Wolfgang Hetzer „Finanz-Mafia“ nennt. Soweit meine Wahrnehmung zu den „gebeutelten“ Banken.
Obwohl einigen Politikern durch die Vehemenz der Finanzkrise durchaus bewusst geworden scheint, dass mit diesen Lockerungen und Möglichkeiten eine Pandora-Büchse geöffnet wurde und einige sehr zaghafte Regulierungen angedacht werden, diesen bösen Geist in die Flasche zurück zu zwingen, müssen sie konstatieren, dass es sich gar nicht so einfach gestaltet, denn die Profiteure dieses Systems sind einflussreiche Persönlichkeiten, die alle wichtigen Schaltstellen und Schlüsselpositionen besetzen. Und sie haben Geld im Überfluss.
Für die sogenannte „Schuldenkrise“ sind jedoch noch weitere Ursachen als das Casino der Banken zu nennen. Die Ideologie des herrschenden Wirtschaftssystems fordert u. a. einen „schlanken Staat“. Die üppigen Steuervergünstigungen primär für die Unternehmerseite der vergangenen Legislaturperioden kamen dieser Forderung nach und bescherten dem Staat Mindereinnahmen von ca. 400 Milliarden Euro im Zeitraum von 2000 – 2010 (s. auch ZR 17)! In der Folge nahmen die Schulden natürlich zu. Schwerwiegende Auswirkungen dieser „weisen Politik“ sind ebenfalls, dass der Staat seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Infrastruktur allgemein, der Daseinsvorsorge und vor allen Dingen im Bereich der Bildung nicht mehr genügend nachkommen kann. Die zeitgleichen Bemühungen, alle Bereiche der Daseinsvorsorge zu privatisieren, entpuppt sich als Bumerang für den Staat auf allen Ebenen, da private Investoren sich natürlich die Rosinen herauspicken. Das erlebt Flensburg gerade hautnah mit dem Campus-Bad, das als ÖPP-Projekt konzipiert ist. Es wurde der Flensburger Ratsversammlung vom Investor mit unrealistischen Besucherzahlen schmackhaft gemacht. Heute ist eine Pleite aufgrund zu geringer Besucherzahlen nicht mehr auszuschließen und die Stadt steht natürlich in der Pflicht. Der Investor setzt den Rat sogar noch unter Druck und fordert einen Zuschuss für eine Erweiterung!
Wie hohl und verlogen klingen da die ständig wiederholten Behauptungen, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt? Haben wir Bürger über unsere Verhältnisse gelebt? Auf dem Hintergrund der eigentlichen Ursachen ist diese Behauptung eine einzige Unverschämtheit uns Bürgern gegenüber. Alle tonangebenden Medien sind sich natürlich einig und bekräftigen jeden Tag aufs Neue diese Auffassung. Auch das ist Teil der „Meinungsmache“ genau wie „Dem Land geht es gut“ und dem „Glücksatlas“ (siehe ZR 27).
Alle sozialen Sicherungssysteme sollen auf ein Minimum reduziert werden. Griechenland erlebt aktuell die Durchführung dieser Forderung in ihrer extremsten Form. „Nichts ist so förderlich für eine Reform wie eine Krise“, wie Milton Friedman es formuliert! Die Forderungen der „Troika“ an Griechenland überschreiten jedes Maß an Vernunft und sogar der simpelsten Logik. Wie soll ein Land binnen weniger Monate solche überzogenen Forderungen erfüllen können, ohne dass die Gesamtwirtschaft zusammenbricht?
Die bisher sichtbaren Auswirkungen: Die Einkommenseinbußen drosseln den privaten Konsum. Die hellenische Wirtschaft schrumpfte um über fünf Prozent. Die Arbeitslosigkeit kletterte auf über 16 Prozent. Die Steuereinnahmen sinken. Der Schuldenberg wächst weiter. Reihenweise Geschäfte gehen Pleite. Die „Rettung“ Griechenlands gleicht einem Würgegriff, dem die griechische Regierung nicht entkommen kann.
Trotzdem bestehen die „Retter“ auch weiter auf die Einhaltung der „Abmachungen“ (des Diktats!), da sonst kein Euro mehr fließt. Einige wenige Europäer haben diesen Irrsinn erkannt und fordern Alternativen. Sogar Gabor Steinhart nennt Beispiele aus der Geschichte, wie den Marshall-Plan der Amerikaner, der das zerstörte Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg großzügig auf die Beine half. „Volkswirtschaften lassen sich durchaus retten, wie die Geschichte lehrt“, schreibt er. Aber die Hardliner – allen voran Angela Merkel – blockieren jede Alternative.
„Der Kartenhaus-Charakter der bisherigen Rettungspolitik ist unübersehbar. […] Der Tag rückt näher, an dem zusammenfällt, was zusammenfallen muss“, sagt Gabor Steinhart. Er begründet seine Aussage mit der Absicht, die Banken zu rekapitalisieren. Auch meiner Ansicht nach steht ein Kollaps des Systems bevor, jedoch aus ganz anderen Gründen.
Das Ziel des herrschenden Weltwirtschaftssystems beruht ausschließlich auf Gewinnmaximierung und das – wie es aktuell sichtbar wird – zügellos, ohne sich irgendwelcher moralischen und ethischen Verpflichtungen unterwerfen zu müssen. Das hat die erste Priorität, der sich alles andere unterzuordnen hat. Wie weiter oben beschrieben spielen die Auswirkungen auf die Allgemeinheit keine Rolle. Dabei sind dann kriminelle Tricks durchaus nicht ausgeschlossen, wie wir es erleben müssen. In welcher Zeit leben wir, in der es Psychopathen gelingt, durch riskante Spekulationen ganze Staaten in den Ruin zu treiben? Was sind das für Regierungen und Parlamente, die es zulassen, dass ihre Bürger dadurch in die Armut getrieben werden, dass sie diese Voraussetzungen schaffen und jetzt, wo sie sichtbar sind und der Kollaps vorprogrammiert ist, nicht entschieden Einhalt gebieten? Die minimalen Absichtserklärungen der Mächtigen der Welt zeigen, wohin die Reise geht, denn im Hintergrund des G 20-Gipfels in Cannes stehen die Wirtschaftsgrößen im B 20- Gipfel und geben entsprechende Anweisungen – inklusive der Deutschen Bank!
In welcher Welt leben wir, in der Aussagen von Merkel und Sarkozy zu Berg- und Talfahrten an den Börsen führen, in der es in Bruchteilen von Sekunden zu irrealen Entscheidungen kommen kann? Ermöglicht durch die schnelle Rechen-Technik der Computer ohne dass eine verstandesmäßige Überprüfung eines Experten zur Entschleunigung und Korrektur dazwischengeschaltet wurde? Ist es nicht ein einzigartiges Privileg des Menschen, für Entscheidungen seinen Verstand einzusetzen? Hier entscheiden computeranimierte Vorgänge, ob der DAX zum Höhenflug oder zum Absturz ansetzt.
Die Realwirtschaft bildet immer noch das Fundament für unseren Alltag. Wie sollen die Unternehmen jedoch längerfristig effektiv und vernünftig wirtschaften können, wenn sie täglich Gefahr laufen müssen, zerfleddert zu werden. Müsste die herrschende Weltwirtschaftsordnung nicht auf allen Ebenen danach hinterfragt werden, ob sie tatsächlich nur zum Vorteil einiger weniger zuständig ist? Angefangen bei der WTO, dem IWF und der Weltbank, weiter über die Organisationen der EU bis hin zu den Regierungen der Nationalstaaten. Demokratiedefizite sind in allen Bereichen sichtbar geworden. Welche demokratische Legitimation hat z. B. der IWF, die Fortschritte bei der Umsetzung der Forderungen an Griechenland – und jetzt auch Italien – zu kontrollieren?
Weltweit gehen immer mehr Menschen auf die Straße, weil sie endlich erkennen, wie stark unsere Gesellschaftsstrukturen durch die einseitige Gewichtung des Geldes bereits zerstört wurden. Sie demonstrieren gegen dieses menschenverachtende Wirtschaftssystem. Occupy Wall Street, wir sind die 99 %, schwappt nach Europa über. Die vielen Konferenzen, Krisen-Gipfel und Beschlüsse der Regierenden der Euro-Zone der vergangenen Wochen zeigen keine Anzeichen eines Umdenkens.
Deshalb wird der außerparlamentarische Widerstand zunehmen müssen, damit unsere Volksvertreter keine Zweifel bekommen, wie ernst wir es meinen.
Denn wir sind das Volk und wir wollen ein Wirtschaftssytem, das dem Menschen dient!
Und dann wird eine andere Welt möglich!
Beate Liebers
Ergänzung zur Meinungsmache im ZR 27
WELT ONLINE bringt heute am 16.10.2011
folgende Beiträge über die weltweiten Demonstrationen gegen die Banken und den Finanzkapitalismus:
http://www.welt.de/politik/ausland/article13662350/Weltweite-Proteste-Geld-kann-man-nicht-essen.html
http://www.welt.de/kultur/article13660220/Der-verwirrend-schoene-New-Yorker-Antikapitalismus.html
Und das ist nur eine Auswahl! Spricht das nicht Bände?
Beate Liebers
Zwischenruf 27 auf Akopol
Dem Land geht es gut – Glücksatlas,
Meinungsmache
Auf allen Ebenen der „Meinungsmache“ wird uns unermüdlich eingehämmert, dass es uns gut geht. „Die Deutschen“ profitieren am Allermeisten von der Einführung des Euro, betont die Kanzlerin wieder und wieder. In der Broschüre der CDU/CSU-Fraktion „Dem Land geht es gut“ schreibt Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder:
„Deutschland geht es gut. Es ist lange her, dass sich unser Land in einer so ausgezeichneten Verfassung präsentiert hat. Die Arbeitslosigkeit liegt teilweise schon unter der Drei-Millionen-Grenze. Die Jugend hat Ausbildung und Anstellung. Die Wirtschaft wächst, wovon alle profitieren: Die Arbeitnehmer durch sichere Arbeitsplätze und steigende Löhne, die Unternehmer durch stabile Gewinne, aber auch der Staat, weil mehr Steuern fließen und die Sozialabgaben geleistet werden.
Politik kann eine solche Entwicklung nicht erzwingen, sie kann sie nur fördern. Ich denke, dass die christlich-liberale Koalition dies geschafft hat.“
Einseitiger geht es ja wohl kaum. Die prekären Arbeitsplätze, Lohndumping, Niedriglöhne, Leiharbeit – alles Bedingungen, die direkt in die Armut führen bzw. bereits geführt haben, werden ausgeblendet.
Seit Ende September wissen wir außerdem, dass wir viel glücklicher sind, als wir es je vermutet haben, denn Prof. Bernd Raffelhüschen, Prof. für Volkswirtschaft, Uni Freiburg, hat geforscht und seine Ergebnisse in einem „Glücksatlas“ veröffentlicht. Diese „erfreuliche“ Nachricht wurde in allen Medien euphorisch verbreitet:
(Siehe Glücksatlas: http://www.nachdenkseiten.de/?p=10783). Albrecht Müller und sein Team von den „Nachdenkseiten“ bemühen sich seit Jahren, diese dreiste Manipulation der Meinung der Bürger mit Fakten zu belegen. Es lohnt sich jeden Tag wieder, in diese kritische Website hineinzuschauen, wenn man die gleichgeschaltete Berichterstattung satt hat und nach einer Gegeninformation lechzt. Die beschriebene Broschüre zusammen mit dem Glücksatlas ist dafür ein Paradebeispiel.
Für den Glücksatlas ausgewertet wurden Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP), für den seit 1984 regelmäßig Umfragen in rund 11 000 Haushalten durchgeführt werden. SOEP ist dem DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) angegliedert (über die Unabhängigkeit und Objektivität des Instituts lese man in Wikipedia unter Kontroversen: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Institut_f%C3%BCr_Wirtschaftsforschung).
Die Dreistigkeit, mit der Stimmung gemacht wird, ist wirklich erschreckend. Alle Menschen, die durch die einseitige Politik mit der extremen Begünstigung der Finanzwirtschaft in prekäre Lebenssituationen bzw. in die Armut getrieben wurden, müssen sich verhöhnt fühlen. Sie werden sich weiter von der Politik abwenden. Die tatsächlichen Zustände im Land werden ganz bewusst ausgeblendet. Armut gibt es demnach nicht oder kaum. Auch Erwin Teufel hat in einem vielbeachteten Vortrag vor CDU-Senioren geäußert, dass es Armut noch nicht gäbe. Wenn man selbst nicht betroffen ist, lässt sich vieles verdrängen. Offenbar sprach er vor einem Publikum, das gut abgesichert ist und für die auch nicht die Gefahr besteht, finanziell abzustürzen.
Im ZR 26 habe ich versucht darzustellen, wie stark unsere demokratische Grundordnung bereits dadurch beschädigt wird, dass die Belange der Bürger von unseren gewählten Volksvertretern gar nicht mehr berücksichtigt werden, wie die Abstimmung zum ESFS zeigte. Zusätzlich erschüttert mich immer wieder, mit welcher Unverfrorenheit Reformen als soziale Wohltaten dargestellt werden, obwohl sogar für Laien sichtbar wird, dass hier nicht nur argumentativ getrickst wird, sondern wie bei der aktuellen Rentenreform der Arbeits- und Sozialministerin wieder gute Geschäfte für die Versicherungen vorprogrammiert sind, wie bereits mit der Riesterrente geschehen.
Zur Veranschaulichung hier die Voraussetzungen für die geplante Rentenreform:
„Von der Leyens Konzept sieht eine steuerfinanzierte Zuschussrente für Geringverdiener in Höhe von 850 Euro vor, die aber an umfangreiche Bedingungen geknüpft ist. In den ersten zehn Jahren ab 2013 müssen die potenziellen Empfänger 40 Jahre Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung nachweisen, wozu neben Beschäftigung auch die Schulbildung ab 17 Jahren, alle anderen Ausbildungszeiten, Arbeitslosigkeit und Schwangerschaft gehören. Von den 40 Jahren müssen 30 Jahre Beitragsjahre sein, dazu gehören neben Beschäftigung auch Kindererziehung und Pflege, sowie Wehr- und Freiwilligendienst. Zudem sind fünf Jahre private Zusatzvorsorge erforderlich, wie etwa die Riester-Rente. Ab 2023 sollen dem Konzept zufolge 45 Jahre Zugehörigkeit zur Rentenversicherung und 35 Beitragsjahre Voraussetzung sein. Die Anforderungen an die zusätzliche Altersvorsorge werden schrittweise erhöht, bis sie ebenfalls 35 Jahre erreichen.“
Wie viele – oder besser wie wenige – werden diese hohen Hürden in diesem „reformierten“ Arbeitsmarkt wohl überspringen können. Vorgesehen ist diese „Reform“ doch für Menschen, die in ihrem Leben wenig verdient haben, verdienen bzw. verdienen werden. Die Forderung einer 5 jährigen Zusatzversorgung ist deshalb eine Unverschämtheit. Wovon sollen Geringverdiener eine private Zusatzversicherung zahlen können, wenn der „Verdienst“ kaum zum täglichen Leben reicht? Die Absichten sind nicht zu verkennen. Es soll dem Staat möglichst wenig kosten und es soll den Anschein einer „sozialen Gerechtigkeit“ erwecken. Man sollte davon ausgehen können, dass Frau von der Leyen und ihren Beratern diese Fakten bekannt sind. Umso befremdlicher wirkt die als großartige Geste dargestellte „Reform“, die man nur als Verhöhnung dieser betroffenen Bürger bewerten kann, die durch die Jahrzehnte verfehlte Politik um ihre Lebensqualität gebracht werden.
Leider ist diese angekündigte „Reform“ nicht das einzige Versatzstück, das die Ministerin auf den Weg gebracht hat. Im Rahmen der Hartz IV-Erhöhung um 5 Euro wurde ihr das Bildungspaket für bedürftige Kinder abgerungen. Wirkungsvoll wurde auch hier vom BMSA die soziale Großtat des Ministeriums verkündet. Die Bilanz ist ein halbes Jahr nach der Einführung ernüchternd. Das von vielen Seiten als „Bürokratiemonster“ beschriebene Paket wird von den Betroffenen längst nicht in dem Maße angenommen, wie es erwartet wurde. Aber statt sich zu fragen, warum man diese Kinder nicht erreicht, ob man evtl. an den Bedürftigen vorbeigeplant hat, sind die Schuldigen natürlich die Eltern dieser bildungsfernen Kinder. Man geht nicht von der Situation der Anspruchsberechtigen aus, sondern stülpt ihnen etwas über, was sie anzunehmen haben.
Es wird viel über konservative Werte und christliche Leitkultur geredet. Für mich gehören dazu als Basis Begriffe wie Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit. In den genannten Beispielen kann ich nichts von diesen Grundtugenden erkennen. Aus meiner Lebenssicht sind sie jedoch die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.
Auch diese Beispiele zeigen, wie unsere Meinung „gelenkt“ wird, unterstützt von entsprechenden Medien. Gleichzeitig bedient man die Interessen der Versicherungsbranche. Dafür ist der Ritter des Glücksatlas, Prof. Bernd Raffelhüschen, ein Paradebeispiel. Er gilt als unabhängiger Experte für den demografischen Wandel und wird entsprechend häufig in Talk Shows u. a. Formaten um seine Meinung befragt. Ein Blick in Wikipedia genügt, um die intensive Vernetzung mit der Versicherungswirtschaft zu verdeutlichen.
„Raffelhüschens Forschungsschwerpunkte sind der demographische Wandel sowie die Systeme der Sozialen Sicherung. Er wirbt für eine Ergänzung des umlagefinanzierten Rentensystems durch eine kapitalbasierte Rente. In der Tradition der Freiburger Schule stehend, vertritt Raffelhüschen eine liberale Auffassung, auch bezüglich der Reform des deutschen Rentensystems. Die Entwicklung eines Modells führte zur Berufung in die Rürup-Kommission. Die Nebentätigkeiten Raffelhüschens in der Versicherungswirtschaft haben wiederholt zu Kritik geführt, da er als Wissenschaftler die kapitalgedeckte private Altersvorsorge propagiert. So ist Raffelhüschen Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO Versicherungsgruppe, sowie der Volksbank Freiburg. Des Weiteren ist er als wissenschaftlicher Berater für die Victoria Versicherung AG in Düsseldorf tätig. Er ist außerdem Mitglied des Vorstands der Stiftung Marktwirtschaft, wo er seit 2006 regelmäßig die Generationenbilanz herausbringt. Darüber hinaus ist er als Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) tätig. Raffelhüschen ist Beiratsmitglied der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.“ (Quelle: Wikipedia)
Man erinnere sich, dass die Rürup-Kommission die sogenannte Riester-Rente entwickelt hat, die für die Rentner wenig bringt (s. ZR 5), für die Versicherungswirtschaft goldene Zeiten einläutete. Carsten Maschmeyer vermarktete mit seiner AWD zusammen mit Minister Riester und dem Wirtschaftsweisen Bert Rürup diese Versicherung mit exorbitanten Gewinnen. Carsten Maschmeyer: „Es ist wie eine Pipeline, die man nur anzustechen braucht!“
Als Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO-Versicherungsgruppe bemüht Bernd Raffelhüschen sich ständig um weitere Einnahmequellen für seine Branche. Von Unabhängigkeit und Objektivität zu sprechen wäre wohl eine Farce. Das Image wurde zwar durch die Sex-Party-Affäre in Ungarn leicht getrübt, aber das verändert natürlich nichts an dem Geschäftsmodell an sich. So wäre es nicht verwunderlich, wenn wir demnächst erfahren, dass nach diesem Muster eine private Zusatzversicherung für die Pflege eingeführt werden soll.
Das alles geschieht natürlich „zum Wohle des Volkes“ und zwar mit Hilfe unserer gewählten Volksvertreter. Im ZR 26 habe ich versucht zu erläutern, wie stark unsere demokratische Grundordnung bereits dadurch beschädigt wird, dass die Repräsentanten des Volkes die Interessen der Bürger nicht mehr vertreten, wie die Abstimmungen in den Parlamenten bezeugen. Die Vernetzung mit entsprechenden Interessengruppen scheint so mächtig, dass die Belange der Bürger nicht mehr zählen. Die desolate Situation der Banken-Krise (angeblich Schulden-Krise), für die wir Bürger haften sollen, ist dafür das augenscheinlichste Beispiel.
In diesen Tagen wird es sowohl in Europa wie in den USA massive Proteste gegen diese Politik geben. Immer mehr Bürger erkennen, dass wir von einer immer mächtiger werdenden kleinen Gruppe von einflussreichen Akteuren beherrscht werden in enger Kooperation mit unseren Regierenden. In Deutschland besteht laut GG ein Grundrecht auf friedliche Demonstration. Wir werden sorgfältig beobachten müssen, wie die Polizei – die Ordnungsmacht – mit diesen Demonstrationen umgeht, welche Anweisungen sie von den entsprechenden Behörden bekommen. Was bis heute in Stuttgart nicht eindeutig zu erkennen ist.
Hoffen wir, dass alles friedlich verläuft und dass unsere Regierenden die Zeichen dieses Widerstandes erkennen und darauf entsprechend reagieren, damit unsere arg beschädigte Demokratie nicht noch weiter beschädigt wird.
Beate Liebers
PS:
Übrigens wurden am Dienstag den 11.10.2011 dem Landtagspräsidenten in Kiel mehr als 25.000 Unterschriften von „Mehr Demokratie“ für die beiden Volksinitiativen übergeben, die für das Land und den Bund angestrebt werden. Claudine Nierth und ihr Team haben es mit großem Einsatz geschafft, die nötigen Unterschriften zu sammeln. Das ist sehr ermutigend!
http://www.mehr-demokratie.de/magazin.html
Auch auf europäischer (sogar globaler) Ebene gibt es Bemühungen, die Demokratie wiederzubeleben. Am 30. Juni 2011 hat Gerald Häfner (Grüner im EU-Parlament) es geschafft, gemeinsam mit 70 Menschen aus aller Welt in Brüssel „Democracy International“ zu gründen!
Zwischenruf 26 auf Akopol
Repräsentative Demokratie – Anspruch und Wirklichkeit
Hannelore Kraft, Rede zum Tag der deutschen Einheit in Bonn
Die amtierende Bundesratspräsidentin und Ministerpräsidentin von NRW hat im Rahmen der Feier zum Tag der deutschen Einheit in Bonn eine bemerkenswerte Rede gehalten. Nach einem geschichtlichen Rückblick der Stadt Bonn nach der Wiedervereinigung machte sie die „Herausforderung Europa“ und die „Herausforderung Demokratie und Bürgerbeteiligung“ zum Schwerpunkt ihrer Rede.
Hier der Ausschnitt der Rede, den ich kommentieren möchte (Hervorhebung von mir):
„Herausforderung Demokratie und Bürgerbeteiligung
Genauso bleibt es eine kontinuierliche Herausforderung, unser demokratisches Gemeinwesen gesellschaftlichen Veränderungen und neuen Entwicklungen anzupassen.
Wir müssen Acht geben, dass unsere Gesellschaft nicht auseinanderdriftet in einen kleineren Teil, der noch Anteil an Politik nimmt, und vielleicht auch mitgestalten will, und in eine wachsende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern, die mit Politik nichts mehr anfangen können oder wollen.
Hannah Arendt hat einmal gesagt: « Was den Menschen zu einem politischen Wesen macht, ist seine Fähigkeit zu handeln; sie befähigt ihn, sich mit seinesgleichen zusammenzutun, gemeinsame Sache mit ihnen zu machen, sich Ziele zu setzen und Unternehmungen zuzuwenden, die ihm nie in den Sinn hätten kommen können, wäre ihm nicht diese Gabe zuteil geworden: « etwas Neues zu beginnen ». Wenn wir unser Gemeinwesen und unsere Demokratie lebendig und stark erhalten wollen, müssen wir in diesem Sinne unsere Bürgerinnen und Bürger stärker ermutigen, politisch mündige Menschen zu sein – und sein zu wollen. Sonst verlieren wir die Kraft, « Neues zu beginnen ».
Dazu müssen wir neue Wege der Beteiligung und der Kommunikation in Richtung Demokratie 2.0 nutzen. Denn mit den neuen Medien, Internet und sozialen Netzwerken öffnen sich auch neue Türen des direkten Austauschs, der offenen Debatte und der vertieften Information.
Erfolgreich kann dieser Prozess nur gelingen, wenn dazu auch die Bereitschaft, der Mut der Bürgerinnen und Bürger tritt, sich auf diesen Dialog einzulassen. Was sich zum Teil als Wut auf „die da oben“ artikuliert, muss in einen konstruktiven Austausch gewandelt werden. Mut statt Wut! So werden aus Betroffenen Beteiligte.
Um nicht falsch verstanden zu werden, möchte ich betonen: Es darf keine Abkehr vom Prinzip der repräsentativen Demokratie geben. Gewählte Volksvertretungen, demokratisch legitimierte Gremien der Entscheidungssuche und Entscheidungsfindung haben sich nicht nur in Deutschland bewährt. Wir sollten mit neuen Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger die Partizipation stärken, bewährte politische Verfahren ergänzen, aber wir können diese nicht ersetzen. Mit repräsentativer Demokratie hat Deutschland und hat Europa 60 Jahre Frieden und Wohlstand erlebt. Das gilt es zu bewahren. Gleichzeitig müssen wir auch nach Wegen suchen, um unsere parlamentarische Demokratie zu vitalisieren.“
******************************************************************
Dieser Ausführung kann ich uneingeschränkt zustimmen. Und wie glücklich könnten wir Bürger uns schätzen, würden diese Intentionen in der Wirklichkeit abgebildet. Wir könnten Vertrauen haben in die Entscheidungen unserer Volksvertreter. Danach sollten sie laut eigener Verpflichtung ausschließlich „zum Wohle des Volkes“ wirken. Die Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm enthüllt jedoch gleich in etlichen Punkten, wie Intention und Wirklichkeit auseinanderklaffen.
Zunächst zur Abstimmung im Bundestag mit dem vorangegangenen Hick-Hack um die „Abweichler“ in der CDU/CSU, der in der Beschimpfung Wolfgang Bosbachs durch den Kanzleramtsminister Ronald Pofalla gipfelte, weil dieser seine Gewissensentscheidung nicht aufgeben wollte (mir geht es hier um das Grundsätzliche, nicht um eine politische Ausrichtung dieses Einzelbeispiels).
Unsere Grundgesetz-Mütter und -Väter haben im Art. 38, 1 des GG festgeschrieben:
„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
Ronald Pofalla soll diesen Einwand Bosbachs mit den Worten zurückgewiesen haben: „Lass mich doch zufrieden mit diesem Scheiß!“ Auch wenn man die Dynamik eines cholerischen Wutanfalls berücksichtigt, ist so ein Spruch von einem verantwortlichen Minister schon ziemlich starker Tobak. Das lässt im Prinzip nur die Schlussfolgerung zu, dass Ansichten, die von der Partei vorgegebenen Meinung abweichen, nicht nur unerwünscht sind, sondern massiv unterdrückt werden. Bisher wurden solche Vorgänge innerhalb der CDU/CSU meistens gut kontrolliert und konnten unter dem Deckel gehalten werden.
Solche Vorgänge beschränken sich jedoch nicht auf eine einzelne Partei. Von Franz Müntefering kursiert das Zitat: „Du bist nicht von deinem Gewissen aufgestellt worden, sondern von der Partei“! Diese erstaunliche Auffassung der repräsentativen Demokratie bekommt dann erhebliche Bedeutung bei der Aufstellung der Kandidatenlisten. Wer nicht die Chance hat, direkt gewählt zu werden, ist abhängig vom Listenplatz und eben vom Wohlwollen der Parteiführung. Wer kritische Ansichten vertritt, die der Spitze nicht genehm sind, kann ganz schnell auf einen hinteren Platz landen, der chancenlos ist. Das konnte man in Schleswig-Holstein bei der letzten Bundestagswahl beobachten.
Allein diese beiden Beispiele zeigen, dass die Absicht unseres GG schnell dadurch beschädigt werden kann, wenn die ursprüngliche Intention unterlaufen wird. Der ESFS – also die Erhöhung des Rettungsschirms – wurde mit großer Mehrheit im Bundestag beschlossen, da die Oppositionsparteien SPD und Grüne ihre Zustimmung signalisiert hatten. Ca. 80 % des Parlaments haben also ein Gesetz verabschiedet, dass laut Umfragen von ca. 80 % der Bürger abgelehnt wird.
Claus Leggewie (Politikwissenschaftler) formuliert es in der FR so:
„Eine hilflose Regierung setzt bei einem ahnungslosen Parlament gegen eine schlecht informierte Mehrheitsstimmung einen zweifelhaften Krisenbeschluss durch – der vergangene „Griechenland-Donnerstag“ wird vielleicht in die Geschichte eingehen als ein weiteres Beispiel dafür, wie ein außer Kontrolle geratener Finanzmarkt Politik und Gesellschaft als Geisel genommen hat.“
Dieser Vorgang macht exemplarisch deutlich, dass die Rückbindung unserer Abgeordneten an ihre Wählerbasis praktisch nicht mehr vorhanden ist. Mit anderen Worten, die hochgepriesene repräsentative Demokratie ist bereits durch die autokratische Handhabe der Parteien massiv beschädigt. Sie sind zu Parteienoligarchien verkommen, die kein Interesse an einer demokratischen Einbindung der Bürger mehr haben. Wie die Interessen der Bürger in den vergangenen Jahren übergangen wurden und nur „Partikularinteressen“ weniger einflussreicher Bevölkerungsgruppen bedient wurden, habe ich in meinen Zwischenrufen mehrfach erläutert. Geradezu schamlos wurden Vorgaben des GG hinsichtlich „sozialer Gerechtigkeit“, „Solidarität“ sowie der „Daseinsvorsorge“ übergangen, ohne dass unsere Parlamentarier dagegen Einspruch erhoben haben. Es wird mir immer unverständlich bleiben, dass gerade die Partei, die von den Arbeitnehmern gewählt wurde, damit sie ihre Interessen innerhalb einer Regierung angemessen vertritt, den Grundstock für die ungeheuerliche Entsolidarisierung gelegt hat.
Wie kann es sein, dass so viele Abgeordnete hier die Gewissensfrage nicht gestellt haben? Oder ist es so allgemeingültig geworden, dass man der Linie der Partei-Führung folgt – zu folgen hat? Weshalb gab es bei der Einführung z. B. der Hartz IV-Gesetze (inklusive aller menschenverachtenden Sanktionsmechanismen) keinen Sturm des Protestes? Waren alle von den „alternativlosen“ Einschnitten überzeugt? Konnte man die Folgen abschätzen? Hat man diese mit der Basis diskutiert? Wo ist hier noch die repräsentative Intention zu erkennen? Die Betroffenen wurden nicht eingebunden.
Anno 2011 wurde jüngst mit der Mehrheit des Parlamentes die Abmachung mit der Schweiz beschlossen, kriminelle Steuersünder zu begünstigen! Auch hier wurde durch gewählte Repräsentanten des Volkes die Gleichheit aller Bürger vor dem Recht mit Füßen getreten.
Eine ganze Reihe anderer Aspekte leisten dem Trend Vorschub, die Belange der Bürger nicht zu beachten, wie es unsere demokratische Grundordnung verlangt. Ein Geflecht aus Interessenvertretern, Lobbyisten und entsprechenden Think Tanks haben zusammen mit demokratisch gewählten „Volksvertretern“ die gesamte Sozialstruktur unseres Staates einseitig zu Gunsten der Finanzwirtschaft „reformiert“ (s. ZR 14, Im Würgegriff der Finanzmafia). Große Unterstützung erfahren diese Bestrebungen durch sympathisierende Medien, die das Meinungsbild der großen Massen prägen (manipulieren), da es kaum Alternativen gibt, denn mit Geld lässt sich (fast) alles kaufen. Sogar unsere „Öffentlich Rechtlichen“ lassen sich – bis auf wenige kritische Sendeformate – vor diesen Wagen spannen, sodass eine Meinungsvielfalt gar nicht entstehen kann. Das ist ja auch nicht beabsichtigt, denn ein unwissendes Volk lässt sich leichter beherrschen. In diesem Sinne ist sicher auch der aktuelle Vorstoß der WELT zu verstehen, die eine regelrechte Kampagne mit dem Titel „Weniger Demokratie wagen“ gestartet hat. Man möchte das Erreichte zementieren und sogar noch forcieren. Vielleicht weil man spürt, dass die Gegenbewegung immer stärker wird und dass sogar aus traditionell ideologiekonformen Kreisen immer mehr Zweifel an unserem herrschenden Wirtschaftssystem artikuliert werden.
Ist es auf diesem deprimierenden Hintergrund der Realität in Bezug auf die „repräsentative Demokratie“ nicht nachvollziehbar, dass so viele Bürger resignieren, sie nicht einmal Ansätze erkennen können, dass man ihre Belange ernst nimmt und deshalb nicht mehr wählen gehen? Ein bleiernes Ohnmachtsgefühl macht sich breit, dass man nichts bewegen kann – aus Erfahrung!
Bei anderen Bürgern ist dieser Zustand in Wut umgeschlagen. Sie protestieren, gehen auf die Straße und nehmen sogar in Kauf, von der Ordnungsmacht trotz friedlicher Demonstration niedergeknüppelt zu werden. Diese Bürger haben Mut und bezeugen ihre Unzufriedenheit mit den undemokratischen Zuständen. Viele Bürgerinitiativen, Wählergemeinschaften ja sogar neue Parteien entstehen, weil wir unsere Interessen nicht mehr von den „etablierten Parteien“ vertreten sehen. Diese schwerwiegenden Bürgerproteste scheinen bei den „repräsentativen Volksvertretern“ in diversen Parlamenten noch nicht ernsthaft wahrgenommen zu werden. Man erkennt den Balken im eigenen Auge nicht, sondern schiebt doch tatsächlich die Ursachen dieser Misere dem Bürger zu. Es wurde sogar der Gedanke formuliert, dass die Wahlenthaltung unter Strafe gestellt werden sollte.
Auf der Grundlage dieser Erfahrungen haben viele Bürger das Vertrauen darin verloren, dass die Abgeordneten überhaupt noch ein Interesse daran haben, was uns bewegt, um sich dann für unsere Belange einzusetzen. Vielleicht ist man sowohl in der Regierung wie im Parlament tatsächlich so weit weg von der Wirklichkeit, dass man nicht mehr wahrnimmt, was sich im Volk tut, wie viel Unmut sich inzwischen aufgestaut hat. Das könnte jedoch letztendlich schlimme Folgen haben.
In ganz Südeuropa protestieren die Bürger gegen die Entscheidungen ihrer Regierungen, weil sie die Folgen einer verfehlten Politik ausbaden sollen. Neuerdings verwandeln sogar verzweifelte Bürger die Wall Street zum amerikanischen Tahrir Platz um und werden sofort von entsprechenden Medien als ziellose, unwissende Aufrührer abgestempelt – auch in den deutschen Medien!
Hannelore Kraft sagt in ihrer Rede, dass „wir nach Wegen suchen müssen, um unsere parlamentarische Demokratie zu vitalisieren!“ Wir Bürger versuchen bereits seit Jahren etwas zu bewegen. Um in dieser Richtung überhaupt etwas Entscheidendes erreichen zu können, wäre die erste Vorausätzung wohl doch, dass unsere Volksvertreter sich ihres Auftrages im Sinne des GG bewusst werden und entsprechend handeln. Darauf warten wir mit Spannung!
Vielleicht gelingt es Frau Kraft innerhalb der SPD hinsichtlich der angesprochenen Ziele, ihre Kollegen und Parlamentarier zu aktivieren.
Beate Liebers
****************************************************
Die Rede von Hannelore Kraft im Wortlaut:
PS: Zum Schluss ein – meiner Meinung nach – sehr zutreffender Spruch:
„Die Moral des Volkes hebt und senkt sich mit der Moral der führenden Schicht“ Friedrich Nietzsche
Zwischenruf 25 auf Akopol
Bemerkungen zur Papstrede im Bundestag am 22.9.2011
Die mit Spannung erwartete Rede des Papstes im Parlament war aus mehreren Gründen sehr bemerkenswert und jeder Abgeordnete hätte gut daran getan, sich die Ausführungen aufmerksam anzuhören. Ich beziehe mich gezielt auf den Text und blende hier ganz bewusst die Situation und die Realität in der katholischen Kirche aus. Sie wären einer weiteren Betrachtung wert.
Erst im Nachhinein erschließt sich die ganze Dimension dieser Rede. Wer richtig zu hören versteht, kann die massive Kritik an den Zustand und den politischen Entscheidungen nicht überhört haben. Gleich zu Anfang zitiert er den jungen König Salomon, der eine Bitte frei hat:
« Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht » (1 Kön 3,9).
„Die Bibel will uns mit dieser Erzählung sagen, worauf es für einen Politiker letztlich ankommen muss. Sein letzter Maßstab und der Grund für seine Arbeit als Politiker darf nicht der Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn sein. Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen“, so Papst Benedikt. „Der Politiker ist ein Diener des Rechts!“
« Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande », hat der heilige Augustinus einmal gesagt. Die Frage, wie man das wahrhaft Rechte erkennen und so der Gerechtigkeit in der Gesetzgebung dienen kann, war nie einfach zu beantworten, und sie ist heute in der Fülle unseres Wissens und unseres Könnens noch sehr viel schwieriger geworden.
Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt – und das ist in unserem öffentlichen Bewusstsein weithin der Fall -, da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt.
Dies ist eine dramatische Situation, die alle angeht und über die eine öffentliche Diskussion notwendig ist, zu der dringend einzuladen eine wesentliche Absicht dieser Rede ist!“
Der Papst bezieht seine Ausführungen auf den Positivismus, der sich ausschließlich auf beweisbare Erfahrungen gründet.
„Wo die positivistische Vernunft sich allein als die genügende Kultur ansieht und alle anderen kulturellen Realitäten in den Status der Subkultur verbannt, da verkleinert sie den Menschen, ja sie bedroht seine Menschlichkeit. Europa rückt in einen Status der Kulturlosigkeit.
Dem jungen König Salomon ist in der Stunde seiner Amtsübernahme eine Bitte freigestellt worden. Wie wäre es, wenn uns, den Gesetzgebern von heute, eine Bitte freigestellt wäre? Was würden wir erbitten? Ich denke, auch heute könnten wir letztlich nichts anderes wünschen als ein hörendes Herz – die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden und so wahres Recht zu setzen, der Gerechtigkeit zu dienen und dem Frieden“.
Auf dem Hintergrund des Zustandes unserer Gesellschaft geben diese Worte des Papstes bedeutsame Anregungen, die unbestreitbar dringend öffentlich diskutiert werden müssten. Es ist jedoch zu befürchten, dass dieser Apell unbeachtet verhallen wird.
Beate Liebers
Hier geht´s zur Papstrede im Wortlaut unter: http://www.morgenpost.de/politik/article1772700/Die-Papst-Rede-im-Wortlaut.html
Nachtrag J.P.: Der Papst und Jürgen Habermas im Diskurs
Sicherlich scheiden sich nicht nur angesichts des derzeitigen Umgangs der katholischen Kirche mit dem Missbrauchsskandal und was die Positionen des Papstes zur Ökumene angeht, die Geister. Dennoch möchten wir zum besseren Verständis der Gedankenwelt des Papstes eine Dokumentation des Diskurses veröffentlichen, den dieser im Jahr 2004 noch als Kardinal Joseph Ratzinger mit dem deutschen Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas führte. Hier geht´s zur Dokumentation: Der Gesprächsabend in der Katholischen Akademie in Bayern am Montag, 19. Januar 2004 – „Vorpolitische moralische Grundlagen eines freiheitlichen Staates“ unter: Habermas Ratzinger