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Verfasst von akopol
Ratingagenturen – ein systemisches Problem
Wem gehören eigentlich die Ratingagenturen?
Die Rating-Agentur Standard & Poor’s hat die Bonität von Frankreich versehentlich herabgestuft! In seinem Samstag-Beitrag „Rating-Agenturen herabstufen!“ zieht Stephan Richter im FT eine kritische Bilanz über das Wirken und den Einfluss der allmächtigen Rating-Agenturen.
In Welt Online am 12.11.2011 im Beitrag von Christoph B. Schiltz wird das allerdings anders bewertet:
„Seit Ausbruch der Finanzkrise müssen die Beteiligten täglich unter großem Druck arbeiten, sie müssen mit ungeheurer Rasanz hochkomplexe Entscheidungen von enormer Tragweite treffen. Wie hält man das aus? Ist das alles noch verantwortbar?
Diese Fragen taugen für Schönwetterperioden. Jetzt stellen sie sich nicht, das Finanzsystem und der Euro stehen dermaßen unter Stress, dass die Milliardenrädchen immer weitergedreht werden müssen, atemlos, damit nicht alles implodiert. Es geht um die Zukunft Europas. Das ist ein ungeheurer Druck – auch für die politischen Eliten.
Die Euro-Retter sind nach 16 Monaten Dauerverhandlungen müde, erschöpft – und sie wissen nicht mehr weiter. Trotzdem müssen sie immer weitermachen. Die Stimmung in den Sitzungen wird zunehmend gereizter, es passieren handwerkliche Fehler, viele EU-Beschlüsse werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Die Krise hat alle im Würgegriff.
Zum Glück ist der Fehler von S&P ohne ernsthafte Folgen geblieben. Natürlich waren die Franzosen empört, und sie waren es zu Recht. Aber ihr Problem ist nicht eine Ratingagentur, die französische Malaise ist hausgemacht.
[…] Dabei haben die Agenturen – trotz ihrer Fehler – das Versagen der politischen und wirtschaftlichen Eliten in den Krisenstaaten und in der EU erst offenbart. Der Markt wird sich vom Unsinn aus Brüssel nicht beeindrucken lassen. Er ist der Einzige in diesen schwierigen Zeiten, der am Ende sicher recht behält!“
Was wäre die Welt also ohne Rating-Agenturen, könnte man da fragen!
Werner Rügemer, Mitbegründer der BCC (Business Crime Control), sieht das ganz anders und ist davon überzeugt, dass die Rating-Agenturen die Finanzkrise aktiv mitverschuldet haben:
„Die drei großen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch gelten als objektive Wächter über die Gesundheit der Finanzen von Unternehmen und Staaten. Aber sie sind mit den internationalen Großbanken und Hedgefonds insbesondere in den USA aufs Engste verfilzt. Sie waren Mittäter der Finanz- und Wirtschaftskrise. Danach wurden sie weder reformiert noch besser kontrolliert. So heizen sie weiter die Spekulation mit Aktien, „Finanzprodukten“ und Staatsanleihen an. Sie tragen zur zusätzlichen Verschuldung von Staaten und zur Verarmung der Bevölkerungen bei. Sie trieben mit Billigung der Europäischen Union (EU) Staaten wie Griechenland und Irland in die Arme von Spekulanten. Es nützt nichts, sie zu „regulieren“ (was sowieso weder die deutsche noch eine andere westliche Regierung vorhat); sie müssen durch ein demokratisch gelenktes Kontrollsystem abgelöst werden.
Der „neoliberale“ Kapitalismus beruht in einem wachsenden Umfang auf Krediten und „strukturierten“ Finanzprodukten: verbriefte, d. h. weiterverkaufte Hypotheken und andere Produktions- und Konsumentenkredite. Konsumenten, Unternehmen, Staaten, aber auch Banken selbst sind nur noch lebensfähig mithilfe einer sich immer weiter drehenden Kreditspirale (Interbanken-Geschäfte). Ob die Kredite und Finanzprodukte volkswirtschaftlich schädlich oder nützlich sind, ob sinnvolle Produkte, Arbeitsplätze und ausreichendes Einkommen für abhängig Beschäftigte entstehen oder nicht, ob Staaten verarmen oder nicht: All dies kümmert die Kreditgeber und die Verkäufer der Finanzprodukte nicht. Es geht ihnen um die Bonität, die Fähigkeit der Kreditnehmer und Käufer, die Kredite zurückzuzahlen und den Kaufpreis für Finanzprodukte aufzubringen, selbst wenn dabei Unternehmen, Konsumenten und auch Staaten bankrottgehen […]“
Wie sagte der Broker von Morgan Stanley so treffend: „Das ist mir sch…..egal!“ Deutlicher kann die Verantwortungslosigkeit für das Handeln dieser Zunft wohl kaum zum Ausdruck gebracht werden.
Euphorisch wurde die Marktgesellschaft als „zivilisatorischen Endpunkt menschlicher Geschichte“ definiert und zielt laut Friedrich August von Hayek auf eine „Entthronung der Politik“ hinaus. Eine weitere Maxime von F. A. von Hayeks besagt, dass „es nicht das Ziel der freien Marktwirtschaft ist, eine Maximierung der Bedürfnisse und des Sozialprodukts zu erreichen“. Und auf dieser Grundlage sind dann „Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen überflüssig“. Entscheidend ist allein „das uneingeschränkte Verfügungsrecht über das Eigentum und die Gewährleistung von Ansprüchen und Erwartungen aus dem Eigentum“.
In vorangegangenen Zwischenrufen (siehe ZR 9) habe ich mich bemüht zu erörtern, wie sich die Gesellschaftsstruktur auf der Grundlage der vorherrschenden neoliberalen Ideologie in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Ich habe versucht darzulegen, wie unsere Volksvertreter auf allen Ebenen langsam aber stetig die Thesen von Milton Friedman und Friedrich August von Hayek mit Gesetzen durch die Parlamente gebracht haben. Es gab bzw. gibt offenbar keine Alternativen zum Neoliberalismus, nachdem die sozialistischen Systeme im Ostblock zusammengebrochen sind. Seit über 30 Jahren werden diese Thesen an unseren Universitäten gelehrt, praktisch ohne dass die Studenten die Möglichkeit besitzen, sich neutral und objektiv Alternativen zu erarbeiten. Diejenigen Professoren, die anderer Ansicht sind, befinden sich in der Minderheit. Und wenn Millionen von Wissenschaftlern weltweit diese Wirtschaftsordnung für die einzig richtige ansehen, kann sie doch nicht verkehrt sein, oder?
Bereits am 12. Juli 2011 hatte Jens Berger in den Nachdenkseiten in einem ausführlichen Beitrag unter dem Titel „Ratingagenturen – ein zutiefst korruptes System“ Hintergründe und Vorgehensweise der drei großen Rating-Agenturen beleuchtet:
„Das Problem ist, dass Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch der verlängerte Arm der Banken und der wichtigsten Käufer von Staatsanleihen sind. Die Wirtschaftspresse kritisiert ebenfalls, dass sich „die Kapitalmärkte freiwillig dem Diktat der Ratingagenturen unterwerfen“. Doch diese Kritik dient der Verschleierung. Werner Rügemer ging der Frage nach, wem diese Agenturen gehören: Standard & Poor’s und Moody’s gehören den größten Vermögensverwaltern und Anleihespekulanten wie Morgan Stanley, Blackrock, Fidelity Investments, auch der Allianz Versicherung, und Blackrock ist zugleich größter Aktionär der Deutschen Bank; Fitch gehört im wesentlichen dem US-freundlichen Großkapital Frankreichs“.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=10067#more-10067
Über diese Zusammenhänge wird kaum oder gar nicht berichtet, schon gar nicht in der WELT. Um diese nicht nachzuvollziehenden Umstände in der Finanzwirtschaft einordnen zu können, ist es jedoch so außerordentlich wichtig, dass möglichst viele Bürger diese unglaublichen Vorgänge erfahren, damit ein effektiver Druck auf die implizierten Politiker ausgeübt werden kann und diese endlich substantielle Schranken gegen die Selbstbereicherung einführen.
Ich fürchte, die Zukunft des Lebens auf unserem Planeten wird davon abhängen, ob es uns gelingt, diesen Abgrund von Gewissenlosigkeit und fehlender Verantwortung für das Wohl aller Bürger auszumerzen, damit auf der Basis des Solidaritätsgedankens eine humane Gesellschaft entwickelt werden kann.
Beate Liebers
Über akopol
Netzwerk für mehr Öffentlichkeit, Transparenz und Demokratie in FlensburgVeröffentlicht am 12. November 2011 in Bürgerbeteiligung, Daten und Zahlen, Flensburg News, Soziales, Wirtschaft, Zwischenruf und mit AKOPOL, Banken, Beate Liebers, Demokratie, Fidelity Investments, Finanzindustrie, Krise, Milton Friedman, Morgan Stanley, Ratingagenturen, Wirtschaft, Zwischenruf getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Ein Kommentar.
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In den Parlamenten setzt man die Thesen von Michael Friedman um? Na dann sind wir aber endgültig verloren! xD
Ich denke Sie meinten Milton Friedman. Und ich kann nur immer wieder davor warnen ihn mit Hayek in einen Topf zu werfen. Es gibt einen Fundamentalen Unterschied zwischen diesen Ökonomen den ich auch in meinen vorherigen Kommentaren versucht habe darzulegen.
Im rahmen der Lehre des Monetarismus wird Hayek oft erwähnt, schließlich hat er den Nobelpreis für seine Konjunkturtheorie erhalten. Dann geht man aber wieder dazu über die Friedmanschen und Keynsianischen Theorien von der Monetären Planwirtschaft detailliert zu erörtern. Schon Marx hatte eine Zentralbank gefordert. Das Geldsystem im Ostblock war und ist das selbe wie unseres. Und es ist genau so zum scheitern verurteilt wie es in der Menschheitsgeschichte schon zigtausend mal gescheitert ist.
Es gibt aber Alternativen! Die Österreichische Schule der Nationalökonomie wird leider nur in den aller seltensten Fällen überhaupt behandelt obwol sie die Grundmechanismen des Marktes am besten beschreibt.
Ich sehe die Ratingagenturen auch sehr Kritisch. Würden sie ehrliche Ratings abgeben, sie müssten zugeben das wir alle Pleite sind. Aber daran haben die Banken kein interesse, dann müssten sie ja all ihre Forderungen abschreiben und wären es selber. Im folgenden erkläre ich einmal warum Hayek sich im Grab umdrehen würde wenn er wüsste das Ihm heute die verantwortung für solche Sauereien in die Schuhe geschoben wird.
Wikipedia:
„In den USA werden zehn Unternehmen als national anerkannte Statistische Ratingorganisationen geführt, deren Ratings für Kapitalmarktzwecke herangezogen werden dürfen (Stand 2011). Dies sind Standard & Poor’s, Moody’s, Fitch Ratings, Kroll Bond Rating Agency, A. M. Best Company, die kanadische Dominion Bond Rating Service (DBRS), Japan Credit Rating Agency, die japanische Rating and Investment Information (R&I), Egan-Jones Rating Company und Morningstar.“
Also, die connections zum „Großkapital“ wurden ja schon im Artikel genannt. Wenn allerdings eine Behörde Lizenzen vergibt dann hat das alles nichts mit Markt zu tun und ist völlig Konträr zu den Ideen des Liberalismus. Die Regierungen sitzen mit den Banken und Konzernen im selben Boot und leben parasitär von der Inflationierung des Geldes. Wenn wir Hayek folgen und die Politik entthronen verlieren auch die Ratingagenturen ihre Macht. Sie müssten mit Konkurrenz leben die villeicht einen Realistischeren Blick auf unsere Bonität hat. Das wäre die offizielle Pleite. Aber das ist auch gut so, alles andere ist der Weg zur Knechtschaft.
Gruß
Lars
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