Baustopp am Bahnhofswald: Klüngel, Überheblichkeit, Ignoranz und die Rathaus-Blase

Tatort Bahnhofswald am 14. Juli 2022: Die Reste des Quellbiotops werden abgebaggert. – Foto: Günter Strempel

Es muss sich grundlegend etwas in Flensburg ändern!

Ein Beitrag von Jörg Pepmeyer

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts zum Baustopp des Hotelprojekts am Bahnhofswald vom 26. Mai ist geradezu eine Ohrfeige für die Stadt Flensburg und die mit dem Hotelprojekt befassten Fachabteilungen der Stadtverwaltung, wie auch für die Kommunalpolitiker, die dem Projekt in den Ausschüssen und der Ratsversammlung ihren Segen gaben. Denn ein Investor, wie aber auch die interessierte Öffentlichkeit müssen sich darauf verlassen können, dass ein städtischer Bebauungsplan und eine Baugenehmigung für ein geplantes Bauprojekt den Normen entspricht und rechtssicher aufgestellt ist. Offenbar gibt es beim Bebauungsplan Hauptpost (303) erhebliche Zweifel daran, wie das Oberverwaltungsgericht mit seinem Beschluss deutlich macht.

Überforderung oder Absicht?

Völlig unnötig: Räumung und Rodung des Bahnhofswalds am 19. Februar 2021. Polizisten und angeheuerte private Sicherheitsleute gehen gegen Baum-Besetzer vor. – Foto: Jörg Pepmeyer

Dass die Stadt Flensburg und ihre Planungsabteilung sich jetzt auf Regressforderungen seitens der Investoren einstellen müssen, falls das Verwaltungsgericht im Hauptverfahren  ebenfalls zum gleichen Schluss kommt, was sehr wahrscheinlich ist, vermittelt den Eindruck einer nicht nur mit diesem Projekt und seinen Fallstricken völlig überforderten und kopflosen Verwaltungsabteilung.

Das und den die Stadtgesellschaft spaltenden Konflikt um das Hotelvorhaben, mitsamt Besetzung und polizeilicher Räumung des Bahnhofswalds, hätte man sich bei einer entsprechenden sorgfältigeren Prüfung der umweltrechtlichen Bedenken und Einwände und bei einer vorsichtigeren politischen Herangehensweise ersparen können. Und dass die meisten Kommunalpolitiker kritiklos die Verwaltungsvorlagen abgewunken haben, ohne sich die Mühe zu machen, sich selber vor Ort zu informieren und sachkundig zu machen, ist kein gutes Zeichen. Sollen sie doch in den politischen Gremien auch das Handeln der Verwaltung gewissenhaft kontrollieren.

Kritisches Nachfragen der Politik und Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft auf Augenhöhe sind notwendig

Wenn sich jetzt einzelne Kommunalpolitiker aus der Deckung herauswagen und sich in den sozialen Medien darauf berufen, es habe ja entsprechende Gutachten gegeben, die die umweltrechtliche Problematik des Hotelvorhabens und die damit verbundenen Eingriffe in den Bahnhofswald als gering einschätzen, ist das eine faule Ausrede. Welche „Gutachten“? Etwa jene, die die Verwaltung oder die ihr zugehörige und weisungsgebundene untere Naturschutzbehörde im Rathaus selber erstellt haben? Das ist lächerlich. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen anderer und kritischer Gutachten wurden kaum bis gar nicht in der politischen Debatte und den Planungen für das Hoteprojekt berücksichtigt oder unzulässig verkürzt und relativiert. Das gilt ebenso für die von den Naturschutzverbänden vorgetragenen Bedenken und fachlich sehr gut begründeten Zweifel hinsichtlich eines ausreichenden Schutzes des Bahnhofswalds mitsamt der Quelle als ökologisch wichtiges Biotop und Habitat. Und viele dieser Zweifel zum Arten- und Biotopschutz teilt auch das OVG in seiner Begründung zum Baustopp-Beschluss.

Überheblich und unverschämt: Verwaltung, Politik und Investoren vs. Zivilgesellschaft

Die Kritik der Umweltschützer interessierte in der Politik und der Stadtverwaltung so gut wie keinen und ebenso wenig die damalige Oberbürgermeisterin. Und die verletzende Überheblichkeit und Ignoranz der verantwortlichen Verwaltungsmitarbeiter und Fachbereichsleiter, wie auch zahlreicher Kommunalpolitiker gegenüber den zivilgesellschaftlichen Akteuren und ihren Argumenten, war vor allem in den Sitzungen der politischen Gremien geradezu greifbar. Die wirtschaftlichen Interessen der beiden stadtbekannten und gut vernetzten Investoren Jan Duschkewitz und Ralf Hansen galt es offensichtlich zügig zu bedienen, da störten kritische Umweltschützer nur und wurden als ewig nörgelnde Fortschrittsverweigerer denunziert. Dumm nur, dass die jetzt trotz allem einen Sieg auf ganzer Linie errungen haben.

Durchsichtige Strategie von Stadt und Investoren zur Abwendung des völligen Projekt-Aus

Tatort Bahnhofswald am 14. Juli 2022: Abschließende Begutachtung durch Jan Duschkewitz und Mitarbeiter der Abbruchfirma – Foto: Claus Kühne

Und bevor ein von beiden Seiten, also BI Bahnhofsviertel, BUND SH und Investoren benannter unabhängiger Gutachter zum Thema Sickerquelle wie vereinbart seine Arbeit aufnehmen konnte, haben Jan Duschkewitz und Ralf Hansen illegal am 14. Juli 2022 auf dem Baugelände vollendete Tatsachen schaffen lassen. Damit war ein wesentlicher Beweis für die Existenz einer Quelle zumindest temporär erstmal vernichtet.

Trotz aller Krokodilstränen der Stadt über dieses Vorgehen war ihr das offenbar recht. Denn wenn der Gutachter die bereits vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) Anfang August 2020 kartierte und unter Biotopschutz gestellte Quelle bzw. eine Sickerquelle im Bahnhofswald bestätigt hätte, wäre das auch für die Stadt zu einem echtem Problem geworden.

Die wird sich daher mit Zähnen und Klauen auch in der Hauptverhandlung vor dem Verwaltungsgericht dagegen wehren, dass ihr „Bebauungsplan Hauptpost (303)“ und die Baugenehmigung wegen grundlegender umweltrechtlicher Verstöße und Versäumnisse zerlegt und endgültig für rechtsunwirksam erklärt werden. Neben der damit verbundenen Blamage könnten dann nämlich die Hotel-Investoren, wie bereits erwähnt, die Stadt auf Regress verklagen, und das dürfte sehr teuer werden. Und wahrscheinlich werden sie dann versuchen, weil auf dem Gelände kein Bauvorhaben mehr möglich ist, die Stadt gerichtlich auch auf Rückabwicklung des Kaufs der beiden Flurstücke an der Bahnhofstraße zu zwingen.

Kommunalpolitiker und Verwaltung dürfen sich nicht zu einseitigen Sachwaltern von Investoreninteressen machen

Wie naiv, intellektuell limitiert und/oder investorenfreundlich muss man daher als Kommunalpolitiker sein, wenn man diese Zusammenhänge nicht durchschaut oder bewusst ausblendet und blindlings der Argumentation der Stadt, der Rechtsabteilung des Rathauses und der Leiterin der Planungsabteilung vertraut, die ernsthaft behauptete, bei der Quelle handele es sich lediglich um eine „Pfütze“? Wo bleibt da der prüfende und gesunde Menschenverstand?

Nur eine Pfütze? Sickerquelle mit neuem Bewuchs auf dem abgeräumten Gelände am Bahnhofswald – Foto: Jörg Pepmeyer, 28. Mai 2023

Umso mehr sollte die neue Ratsversammlung das Thema noch mal in aller Tiefe beleuchten, das Verwaltungshandeln besonders kritisch unter die Lupe nehmen und sich dazu mit der 34 Seiten umfassenden Begründung des OVG-Beschlusses vom 26. Mai intensiv auseinandersetzen. Damit werden den Kommunalpolitikern hoffentlich die Augen geöffnet.

Und Oberbürgermeister Fabian Geyer sollte sich dringenst über notwendige, fachbereichsübergreifende Personalumbesetzungen in der Stadtverwaltung Gedanken machen.

Gleichzeitig braucht es eine grundsätzlich andere Haltung und Einstellung von Politik und den Verantwortlichen in der Verwaltung gegenüber den Akteuren der Zivilgesellschaft, schließlich sind sie mit ihrem Engagement und ihrer Expertise ein außerordentlich wichtiger Motor für Veränderung und die Demokratie in unserem Land.

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Veröffentlicht am 31. Mai 2023, in Flensburg News. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 2 Kommentare.

  1. nielsenflensburg

    Lieber Jörg, vielen Dank für deinen wunderbaren Artikel. Wenn Du Lust und Kapazitäten frei hast, dann schau Dir unbedingt das Urteil des OLG noch mal genau an – Günter Strempel hat es als Prozessbeteiligter vorliegen und uns gestern Abend (ATTAC-FL) daraus vorgetragen, erstaunlich, sage ich Dir. Zwar verwerfen und kritisieren sie das vorangegangene Urteil des Verwaltungsgerichts, aber dann nehmen sie sich der Sache selbst an und untersuchen akribisch die Baugenehmigung, die Einwände und die genauen Abläufe in der Verwaltung und der Politik / den Gremien und kommen dann durchweg zu einem sehr präzisen, für die Verwaltung und die Politik / die Gremien absolut vernichtenden Urteil, Mann, sowas habe ich noch nie gehört/gelesen, absolut faszinierend!!!

    Das hat es wirklich verdient, in der Presse breitest-möglich veröffentlicht zu werden. Und dann macht die Stadtverwaltung in der Person von Claudia Takla Zehrfeld eine Tagung mit dem NEC unter dem Titel „Genug Stadt Krisen“ – das klingt nur noch wie Hohn und „wir wollen nix lernen“….

    Vielleicht schaffst Du es ja …

    Beste Grüsse!

    Henning Nielsen, Flensburg 0176 92299453

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  2. Thomas Jarstorff

    Seit Jahrzehnten sind die „Defizite“ in der Rathausverwaltung bekannt und
    aktenkundig. Anstatt dringend notwendiges Fachpersonal im Umweltbereich einzustellen, hat man lieber Naturschutzbelange unter den Teppich gekehrt und abgebügelt. Im Naturschutz eine „6“ urteilte schon vor Jahren eine bekannte
    Fachzeitschrift über die Umweltpolitik in Flensburg! Dabei waren die Voraussetzung
    mit z.B. der Umwelterhebung, AfdU., „Öko-Förster“…. denkbar gut. Aber es ist
    „gelungen“ alle positiven Ansätze an die Wand zu fahren. Armes Flensburg…

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