
Corona-Kundgebung am Samstagnachmittag: Trommel-Rhythmen sorgen für gute Laune
Es braucht den gemeinsamen Diskurs!
Ein Beitrag und Fotos von Jörg Pepmeyer
Dass die Corona-Krise zu einer enormen Verunsicherung auch in Teilen der Flensburger Bevölkerung gesorgt hat, konnte man wieder am Samstag nachmittag an der Hafenspitze beobachten. Mehr als 200 Menschen trafen sich um gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen und gegen die ihrer Meinung nach bedrohliche Einschränkung der Grundrechte zu protestieren. Aufgerufen dazu hatte die „Initiative Flensburg für Grundrechte“, ehemals der Flensburger Ableger der Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand.
Bei den Protestlern waren auch viele, die ich persönlich aus zivilgesellschaftlichen Gruppen und von gemeinsamen Aktionen kenne. Ebenso dabei die ehemalige FDP-Kommunalpolitikerin Anja Nielsen und Ratsherr Marc Paysen von der Wählergemeinschaft Flensburg Wählen. Zudem traf ich auch einige Bekannte, die ich noch in der jüngeren Vergangenheit als fortschrittlich denkende Menschen erlebt habe und die unter anderem in Sozialberufen und als Pädagogen arbeiten. Mehrheitlich sicher keine Faschisten, wie ihnen von Gegnern dieser in den letzten Wochen regelmäßig stattfindenden Corona-Kundgebungen unterstellt wird, aber durch die Corona-Krise nicht nur politisch erheblich verunsichert.
Nun wäre gegen einen derartigen Protest im Allgemeinen nichts einzuwenden, doch zeigte sich insbesondere bei den Ausführungen des Demo-Organisators und Sprechers Alexander Kuhn, dass es ihm und anderen Mitstreitern um mehr als nur um die Corona-Politik der Bundesregierung geht. Kuhn, der auch für das Magazin Rubikon schreibt, schürte in seiner Ansprache an die Kundgebungsteilnehmenden vor allem die Angst vor dem Verlust grundlegender Bürgerrechte und der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen über sich und sein Leben. Die Bundesregierung hätte quasi eine Corona-Diktatur errichtet. Dabei unterstellte er, dass es ein Kartell der Mächtigen gibt, die gezielt die Corona-Pandemie nutzen würden, um die Gesellschaft gemäß ihren Interessen umzuformen und die Demokratie zu zerstören. Ähnlich wie er es bereits in Rubikon im März geschrieben hatte: „Es sind die unreflektierten oder gar kühl beabsichtigten Handlungen der ermächtigten Menschen unserer Nationen, die diese Krise künstlich herbeiführten und konsequent weiter vorantreiben.“ (siehe: https://www.rubikon.news/artikel/das-killer-virus-in-zahlen)
Das war natürlich schon ziemlich starker Tobak, traf aber offensichtlich den Nerv der Versammelten. Alexander Kuhns Strategie war natürlich darauf angelegt die Angesprochenen anschließend zu den eigentlichen Schützer*innen der Verfassung und der Grundrechte zu erklären. Es hätte nur noch ein Schwur gefehlt. Derartig motiviert und geschmeichelt gab es dann auch schon Einige, die pathetisch von der Inanspruchnahme des Artikel 20 Abs 4 unserer Verfassung sprachen. Das aber eher am Rande.

Alexander Kuhn spricht zu den Teilnehmenden. Am VW-Bulli Frank Horn, Mitorganisator der Kundgebung. Auf seiner Facebook-Seite verbreitet Frank Horn rechte, FPÖ und AfD-affine Inhalte. Peter Stiller, dem der Bulli gehört, hat sich am 18.05. auf seiner Facebook-Seite von der Veranstaltung ausdrücklich distanziert und sich gegen Vorwürfe gewehrt, er sei ein Nazi: „So Leute ich habe mit der Demo am Samstag an der Hafenspitze nichts zu tun. Habe mein Bulli ausgeliehen, wusste aber nicht zu welchem Zweck. Für mich sind alle Menschen gleich und haben die gleichen Rechte. Egal welcher Nation sie angehören, welche Hautfarbe sie haben, welche Sprache sie sprechen und an welchen Gott sie glauben. Und keiner darf in unserem Land wegen seiner Herkunft benachteiligt werden. Dazu stehe ich ohne wenn und aber.„
Aber tatsächlich ist aufgrund der Folgen der Corona-Krise die Angst bei vielen Menschen enorm groß, in eine existenzbedrohende Lage zu geraten, den Job zu verlieren, die Kredite fürs Haus und Auto nicht mehr tilgen zu können, oder sonstwie die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Das offen zuzugeben und darüber mit anderen zu sprechen, um gemeinsam und solidarisch zu handeln und Problemlösungen zu finden, fällt vielen Menschen außerordentlich schwer. Und offensichtlich sind viele auch psychisch von der Corona-Krise überfordert, stellen die massiven Einschränkungen im öffentlichen und privaten Leben Denk- und Verhaltensroutinen völlig auf den Kopf. Das bestätigten auch meine Gespräche mit Corona-Protestlern. Und ich hatte den Eindruck, dass sie nicht wissen, wie sie sich und ihre Interessen organisieren können. Und ebensowenig, wie sie mit ihren Ängsten umgehen sollen. Da ist die Vorstellung, es gäbe omnipotente und unsichtbare Strippenzieher, eine brauchbare Projektionfläche für das eigene Unvermögen und die Hilflosigkeit der Situation angemessen begegnen zu können.
Natürlich ging Alexander Kuhn darauf nicht ein. Dabei hätte ich zumindest konkrete politische Vorschläge von ihm erwartet, wie die Folgen und die Lasten der Corona-Krise fair und solidarisch geteilt werden sollen. Wie auch die Vermögenden und Einkommensmillionäre dazu verpflichtet werden sollen, ihren Teil dazu beizutragen und nicht wie so oft, nur die Durchschnittsverdiener und „kleinen Leute“. Noch besser, welcher Vorschläge und politischen Forderungen bedarf es, um eine gesellschaftlich Veränderung jenseits einer marktradikalen, kapitalistischen Verwertungslogik in Gang zu setzen, hin zu einer solidarischen, demokratischen, freien und ökologischen Gesellschaft, die keinen Raubbau an den Menschen und der Natur betreibt? Aber auch das war nicht das Thema von Kuhns Rede. Faktisch blieb er alle Antworten schuldig und hätte mit seinen anti-staatlichen Befindlichkeits- und Bürgerrechts-Plattitüden auch jeden AfDler begeistert.
Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Mehrheit der Zuhörer*innen das in irgendeiner Weise gestört hat. Sie quittierten die Ausführungen von Alexander Kuhn mit großem Applaus. Vielleicht weil sie von den eigentlichen und wirklich bedrohlichen Problemen und Aufgaben ablenkten und weil es das war, was die Leute an diesem Nachmittag unbedingt hören wollten und er ihnen vermeintlich aus der Seele sprach.
Ich denke ebenso, dass von den Anwesenden kaum einer wahrhaben will oder es bewusst ausblendet, dass es in den kommenden Monaten und spätestens im Herbst richtig zur Sache geht. Dann geht es aber gar nicht so sehr um Grundrechte, sondern für ganz viele Menschen um außerordentlich existentielle Themen, um Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Wohnungsverlust usw. Bei aller möglichen Ernsthaftigkeit vieler Kundgebungsteilnehmenden bezweifle ich stark, ob sie diesen Ernst der Lage wirklich erkannt haben und wie wichtig es jetzt ist, gemeinsam Gegenmacht zu organisieren. Das heißt seine Interessen zu bündeln, sich Verbände und möglicherweise Parteien als Bündnsipartner zu suchen, um den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise gemeinsam und mit konkreten, mehrheitsfähigen politischen Zielen und Forderungen begegnen zu können. Das gilt insbesondere auch für die Situation vor Ort, also in der Stadt Flensburg.

Protest gegen die Corona-Kundgebung auf der anderen Seite des Platzes an der Hafenspitze. Die rote Linie war von der Polizei gezogen worden, um eine direkte Konfrontation zwischen den beiden Parteien zu vermeiden. Bis auf lautstarke verbale Scharmützel gab es dann auch keine ernsthaften Konflikte.
Dass die knapp 40 Gegendemonstranten gestern Nachmittag auf verlorenen Posten standen und mit ihren Argumenten keinen der Corona-Protestler wirklich erreichten, ist daher nicht verwunderlich. Dennoch ist es enorm wichtig, dass alle Seiten ins Gespräch miteinander kommen. Dazu bedarf es aber eines moderierten Diskussionsformats. Und es ist ebenso wichtig, entsprechend den obigen Ausführungen nicht das Trennende, sondern unbedingt das Gemeinsame zum Thema eines von gegenseitigem Respekt getragenen, offenen Bürgerdiskurses „Runder Tisch Corona Flensburg“ oder ähnliches zu machen. Denkbar wäre auch ein Format „Thing“, also unter freiem Himmel an der Hafenspitze zu diskutieren.
Tut man das nicht, würde man der Spaltung der Bevölkerung und dem Erstarken der AfD und sonstigen rechten Gruppen in Flensburg enormen Vorschub leisten. Ganz davon abgesehen, dass ein gemeinsames und solidarisches Handeln der Menschen zur Bewältigung der Corona-Folgen in weite Ferne rücken würde.
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