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Eine offene Wunde

Gerodeter Bahnhofswald: Das Flensburger Naturhabitat beherbergte über 140 Jahre alte Bäume und geschützte Fledermäuse – Foto: Marco Johns

Ein Beitrag von Günter Strempel

Von verlorenem Vertrauen in Politik und Verwaltung ist dieser Tage allerorten die Rede. Und natürlich davon, wie es denn wiederzugewinnen sei. Die Kanzlerin versucht es mit dem Eingeständnis von Fehlern und bittet um Verzeihung. In Flensburg geht man einen anderen Weg.
Die Auseinandersetzung um den Bahnhofswald, die sich über Jahre hinzog und bis zu ihrem traurigen Höhepunkt immer stärker zuspitzte, hat in der Stadtgesellschaft eine tiefe Wunde hinterlassen. Man täusche sich nicht, der Vertrauensverlust ist riesig.

Doch was geschieht?

Strategie 1: Weggucken, wegducken, ganz so tun, als sei nichts gewesen. Nein, sagt die Mehrheit der Ratsversammlung, eine kritische Aufarbeitung der Ereignisse brauchen wir nicht.

Strategie 2: Fehler und Falschdarstellungen werden eingesetzt, um die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen und kritische Gegenstimmen zum Schweigen zu bringen. Hierfür ein Beispiel: In ihrer groß angelegten Erklärung zum Bahnhofswald (Motto: Ich ziehe jetzt den Schlussstrich!) formuliert die Oberbürgermeisterin während der Ratsversammlung folgenden Satz:” So wird der Hotelbau ausschließlich auf bereits versiegelten Flächen vorgenommen,…”. Auf das eine Wort “ausschließlich” kommt es an. Die Rednerin erweckt den Eindruck, der ganze Streit um den Wald sei im Grunde ein Possenspiel, denn in Wirklichkeit passiere der Natur doch gar nichts. Gebaut werde ausschließlich…

Spannend wird es im Folgenden. Der Text der Rede ist im vollen Wortlaut auf der Homepage der Stadt Flensburg nachzulesen. Noch während die Ratsversammlung läuft, wird er dort eingestellt.
Zunächst bleibt alles unverändert, doch dann wird heimlich, still und leise korrigiert. Das muss geschehen, denn nach erfolgter Rodung ist völlig klar: Diese Aussage über die Versiegelung ist völlig unhaltbar. Lange Zeit konnte man damit auftrumpfen und u.a. auch viele Ratsmitglieder beeindrucken – bis hin zu ihrer Entscheidung für das Projekt. Heute aber genügt ein Blick auf die Rodungsfläche, um die kolossale Unwahrheit des “ausschließlich” zu erkennen. Das Wort wird kurzerhand getilgt, denn allzu offenbar soll auch dort gebaut werden, wo vor kurzem noch wertvolle Bäume standen.

Für die falsche Formulierung keine Entschuldigung, kein Fehlereingeständnis. So jedenfalls heilt man keine Wunden, so bleibt Vertrauen unrettbar verloren.

Baumstümpfe zeugen von der Vernichtung des Waldes – Foto: Sabine Scholl

Illegale Selbstjustiz am Bahnhofswald

Protestierende WaldschützerInnen und vom Investor angeheuerte Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma am Bauzaun – im Hintergrund illegal gefällte Bäume – Foto Jörg Pepmeyer

Stellungnahme der Bürgerinitiative Bahnhofsviertel Flensburg

Leben wir hier in Deutschland? Oder im Brasilien Bolsonaros? Heute kann man ins Zweifeln kommen:
Die Investoren am Bahnhofswald versuchten mithilfe einer Privatarmee ihre privaten Interessen mit
Gewalt durchzusetzen! Vorbei an der Polizei und an der Verwaltung der Stadt Flensburg.
Sie nahmen dabei in Kauf, was die verantwortlichen Politiker unbedingt vermeiden wollten: einen
Super-Spreading–Event im Corona-Hotspot Flensburg, dem schlimmsten Verbreitungsort der
hochansteckenden britischen Corona-Variante in ganz Deutschland. Und erwartungsgemäß passierte
genau das! Binnen kürzester Zeit formierte sich eine riesige Menschenansammlung: der etwa
hundertköpfige Sicherheitsdienst, Baumfäller, dann die Polizisten und eine stetig wachsende Zahl von
Demonstranten und Aktivisten. Größtenteils gab es wenig oder keine Sicherheits-Abstände!
Gut, dass wenigstens die Stadt und die Polizei schließlich eingriffen durch die Verfügung eines
sofortigen Baustopps. Aber da waren bereits etliche Bäume gefällt, zahlreiche Bäume durch Ansägen
im ganzen Umfang ermordet und instabil gemacht. Darunter sind mehrere Bäume, auf denen
Baumhäuser sind mit Menschen darin.
Mit dieser Wahnsinnstat haben die Investoren eindeutig demonstriert, dass ihnen Menschenleben
genauso schnuppe sind wie Bäume, und dass ihnen ihre finanziellen Interessen wichtiger sind als der
Respekt vor dem Rechtsstaat, der ja Selbstjustiz verbietet; sie ist strafbar! Von der geplanten
Vernichtung des wertvollen Biotops ganz zu schweigen.
Als Kollateralschaden ist von den „Sicherheitskräften“ die gesetzlich geschützte Quelle zertrampelt
worden – auch das ist strafbar!
Dabei war das ganze Vorgehen völlig umsonst, denn ein Baubeginn wäre sowieso bereits jetzt illegal
gewesen: auch im Februar dürfen zumindest die großen Bäume, auf denen Fledermäuse sitzen
könnten, nicht gefällt werden. Die verhindern jetzt schon jede Bautätigkeit.

Christiane Schmitz-Strempel/ Günter Strempel (Sprecherin und Sprecher der BI Bahnhofsviertel FL)

Weitere Infos und Beiträge zum Thema Hotel- und Parkhausprojekt am Flensburger Bahnhofswald auch hier

Pro Bahnhofswald: Übergabe von Unterschriften an den Flensburger Stadtpräsidenten Hannes Fuhrig

Ein Beitrag der Bürgerinitiative Bahnhofsviertel Flensburg

Auf einem Tisch vor dem Eingang zum Rathaus liegen zwei dicke Bände mit insgesamt 2.000 Unterschriften. Stadtpräsident Hannes Fuhrig kommt nach draußen, um die Unterschriften wie verabredet entgegenzunehmen.

Neben der Stadtpresse (shz) sind auch zehn Mitglieder der Bürgerinitiative Bahnhofsviertel erschienen, um der Übergabe beizuwohnen. BI-Sprecher Günter Strempel beschreibt, wie die Unterschriftensammlung an der von der BI abgehaltenen Mahnwache vonstatten ging. Oft auch bei Flensburger Schmuddelwetter mit Regen und Wind habe man die Passant:innen angesprochen, sei mit ihnen ins Gespräch gekommen, und dann hätten viele teils mit klammen Fingern ihre Unterschrift geleistet. Die Menschen wollten damit ihrer Ablehnung des Bauvorhabens Ausdruck verleihen und für ein Fortbestehen des Waldes votieren. Über 2.000 Unterschriften allein von den in der Bahnhofstraße vorbeikommenden Menschen sei eine erhebliche Unterstützung, die stellvertretend stehe für noch sehr viel mehr Menschen in ganz Flensburg, die man bisher noch nicht erreicht habe. Aber die Unterschriftensammlung werde täglich fortgesetzt, und ein dritter Band mit Unterschriften werde nicht mehr lange auf sich warten lassen. 

Stadtpräsident Fuhrig antwortete, es sei ja hinlänglich bekannt, dass er mit seinem Standpunkt zahlreichen Forderungen der BI widerspreche; dennoch sähe er sich veranlasst, das zivilgesellschaftliche Engagement der BI zu würdigen. 

Bevor er sich dann mitsamt den Unterschriftensammlungen wieder ins Rathaus zurückzog, wandte sich Cordelia Feuerhake noch einmal an den Stadtpräsidenten. Der Bürgerinitiative wie auch den vom Hotelbau betroffenen Anwohnern werde seit vielen Wochen die Einsicht in die von der Stadt erteilte Baugenehmigung verweigert. Offenbar wolle die Stadtverwaltung auf diese Weise erreichen, dass die Baugenehmigung nicht rechtzeitig genug beklagt werden kann, um Räumung und Rodung des Waldes zu verhindern. Der Stadtpräsident möge sich bitte dafür einsetzen, dass dem uns BürgerInnen zugesicherten Recht auf Informationszugang endlich entsprochen werde, und das hieße: Die angeforderten  Unterlagen werden umgehend übermittelt.

Stadtpräsident Hannes Fuhrig nimmt zwei Bände mit jeweils 1.000 Unterschriften entgegen
Günter Strempel erzählt, wie die 2.000 Unterschriften an der Mahnwache zustande gekommen sind.

Kundgebung im Carlisle Park: Teilnehmer*innen fordern Erhalt des Bahnhofswalds und eine Wende in Flensburg

Baumprotest im Carlisle-Park am Bahnhof

Ein Beitrag und Fotos von Jörg Pepmeyer

Klarmachen zur Wende!

So lässt sich das Motto beschreiben, unter dem sich heute rund 70 Teilnehmer*innen zu einer Protest-Kundgebung, natürlich unter Wahrung der Corona-Regeln, im Carlisle-Park am Bahnhof trafen. Eingeladen dazu hatten die beiden Umweltaktivisten Christiane Schmitz-Strempel und Günter Strempel. Unterstützt wurden sie von der Bürgerinitiative Bahnhofsviertel Flensburg, von Greenpeace, attac und weiteren Mitstreiter*innen verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen und Bürgerinitiativen sowie Einzelpersonen in Flensburg. Somit ein sehr breites und buntes Bündnis.

Vorrangig ging es zwar um den Erhalt des Bahnhofswalds, der im Rahmen eines Hotelneubaus der Axt zum Opfer fallen soll, aber die Protestler hatten noch eine ganze Menge mehr im Gepäck. Sie präsentierten eine Aktion, die deutlich machen sollte, dass in Flensburg eine Wende überfällig sei, im Bereich des Verkehrs, in der Stadtplanung, beim nachhaltigen Schutz wertvoller Naturflächen, bei der Bürgerbeteiligung und vieles mehr. Also hin zu einer wirklich lebenswerten, ökologischen, solidarischen und demokratischen Stadt. Im Park bauten sie dazu aus alten Ästen und Stämmen einen Baum nach, der mit großen Blättern bestückt wurde, auf denen die Kritikpunkte standen. Anschließend wendeten die Aktivisten dann gemeinsam das Blatt. Nun wurden die Alternativen und die Forderungen an die Politik sichtbar.

Günter Strempel spricht zu den Anwesenden

Das war dann auch Thema der Ansprache von Günter Strempel an die Kundgebungsteilnehmer*innen. Er machte ebenso deutlich, dass die Flensburger Politik derzeit nicht nur das Vertrauen der Bürger*innen verspiele, sondern gleichzeitig mit ihren Entscheidungen wertvolle Naturflächen vernichte und vorrangig die privaten Interessen von Investoren und Bauspekulanten bedienen würde. Ohne dass die Bürger*innen die Möglichkeit hätten, angemessen gehört und beteiligt zu werden. So dürfe es nicht mehr weitergehen. Deshalb bedürfe es einer grundsätzlichen Wende in der Stadt. Seine Rede ist hier nachzulesen: Auftakt_Rede Guenter Strempel

Dass die vielgescholtenen Flensburger Kommunalpolitiker*innen sich mehrheitlich die Chance entgehen ließen, mit den Protestlern ins Gespräch zu kommen, war außerordentlich schade. Es wäre sicherlich ein spannender Dialog geworden. Trotz Einladung an die Ratsfraktionen, bei denen lediglich Arne Rüstemeier von der CDU sich ebenso wie die Grünen, die allerdings nur über ihre Fraktions-Geschäftsführerin, per Mail entschuldigte und eine Absage erteilte, war LINKE-Ratsfrau Gabi Ritter die einzige Kommunalpolitikerin, die den Weg in den Carlisle-Park fand und von der Baum-Aktion besonders angetan war.

LINKE-Ratsfrau Gabi Ritter unterstützt die Kritik und die Forderungen der Protestierenden im Carlisle-Park

Sie unterstützt die Kritik und Forderungen der Aktivisten voll und ganz und zweifelt daran, dass angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise der geplante Hotelneubau am Bahnhof tatsächlich irgendwann realisert werden kann. Sie sieht ebenso keinen Grund ausgerechnet den Bahnhofswald dafür zu opfern.

Sie fordert gleichzeitig ein völlig neues Denken und eine neue Debatte zur zukünftigen Entwicklung Flensburgs. Angesichts der drohenden wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Folgen der Corona-Krise stünden die Stadt Flensburg und die Kommunalpolitiker*innen vor Herausforderungen, die mit einem „Weiter so“ nicht zu bewältigen seien. Das gelte insbesondere für die Stadtplanung, die Kultur- und Bildungseinrichtungen, den Wohnungsbau, städtische Investitionsvorhaben, wie die Verlagerung des Wirtschaftshafens und viele weitere Dinge.
Um das wirklich sozial fair und nachhaltig zu bewältigen, braucht es ganz erheblich mehr Bürgerbeteiligung und Demokratie in der Stadt, so Gabi Ritter.

Fasst man die Kundgebung zusammen, dann war doch sehr überraschend, wie trotz Corona viele Flensburger*innen weiterhin bereit sind, sich mit viel Kreativität, Sachverstand und Engagement in die Politik einzumischen. Bei den Gesprächen mit den Teilnehmer*innen und Gabi Ritter war zudem festzustellen, dass die Sorge um die zukünftige Entwicklung in der Stadt außerordentlich groß ist. Groß ist aber auch das Bedürfnis, die möglichen Probleme und Aufgaben mit den Entscheidungsträgern aus Verwaltung und Politik zu lösen und gemeinsam Handlungsalternativen zu entwickeln. Offensichtlich hat man aber im Rathaus und in den Parteien mehrheitlich nicht begriffen, dass dieses bürgerschaftliche Engagement, das Wissen und die Lebenserfahrung dieser Menschen eine große Ressource sind, die man zur Bewältigung der Krise und ihrer Folgen unbedingt nutzen sollte. Bezieht man die Menschen nicht mit ein, oder agiert mit ihnen nicht fair und auf Augenhöhe, wird es weitere und möglicherweise noch schärfere Konflikte in der Stadt geben.

Zum Abschluss:

Manchmal müssen auch nach der Wende die Dinge noch mal richtig gestellt werden, so der Unterstützer und Musiker Ueze Oldenburg…

Nachtrag

Untenstehend der Bericht über die Aktion von Marc Reese in der Flensborg Avis vom 13.05.2020 Überschrift übersetzt: „Ein toter Baum wird gefüllt mit Leben.“ 

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