
Fridays for Future Demonstration für den Erhalt des Bahnhofswalds in Flensburg am 30.11.: Forderung nach einer grundlegenden Änderung der Klima-Politik – Foto: Jörg Pepmeyer
Zeitgemäße Kapitalismuskritik
Ein Beitrag von Dr. Boje Maaßen
Auf Demos wie der für den Erhalt des Bahnhofswaldes wird immer wieder auch Kapitalismuskritik geäußert. Es macht daher Sinn, das Verhältnis von Ökologie und Kapital zeitgemäß zu analysieren. Hier meine Überlegungen:
In der traditionellen marxistischen Theorie sind Kapitalisten Eigentümer von Produktionsmitteln, also Fabriken, Maschinen usw. Spekulanten, überbezahlte Fußballspieler u.a. treten hier nicht auf. Inzwischen hat sich der Kapitalismus aber zu einem warenproduzierenden Gesamtsystem weiter entwickelt, an dem nahezu alle Bürger vom Unternehmer über den Fußballstar bis hin zum Harz-Vier-Empfänger mehr oder weniger teilhaben. Es gibt relative Armut, aber (fast) keine absolute Armut in Deutschland. Absolute Armut ist für die Betroffenen und für die Gesellschaft unerträglich, materielle Ungleichheiten in höherem Ausmaße sind ungerecht.
Diese Struktur ist Bedingung für eine ständige Vermehrungswirtschaft (fälschlicherweise immer noch Wirtschaftswachstum genannt, denn ständiges Wachstum gibt es in der Natur nicht) und damit verbunden mit der Zunahme ständig neuer, zumeist überflüssiger und die Ökologie schädigender Bedürfnisse der gar nicht so freien Konsumenten. Die Kritik der ständigen Vermehrungswirtschaft ist keine Kritik an der Wirtschaft an sich, was letztlich inhuman wäre, sondern eben an einer speziellen Form, die allein auf Wirtschaftsvergrößerung aus ist und sich gegenüber anderen Interessen absolut setzt. Wenn aber die Qualität der erwirtschafteten Produkte und Dienstleistungen selbst nicht in Frage gestellt wird (=Gebrauchswertkritik), sondern nur noch deren Verteilung, dann ist das keine zeitgemäße Kapitalismuskritik. Eine zeitgemäße Kapitalismuskritik leistet Robert Kurz in „Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft“ (Eichborn Verlag 1999). Sinngemäß schreibt er: Nicht mehr die Klassen- und Verteilungsfrage der alten Arbeiterbewegung, die im Kern nur auf eine gerechte Verteilung des produzierten Mehrwerts abzielt, muss in das Zentrum der Analyse und Kritik gestellt werden, vielmehr muss die Kritik nun grundsätzlicher die gesellschaftlichen Produktions- und Vermittlungsformen des Werts und der abstrakten Arbeit in den Mittelpunkt stellen. Vor diesem theoretischen Hintergrund ist der traditionelle Sozialismus nicht die große Systemalternative, sondern vielmehr eine staatskapitalistische Spielart des warenproduzierenden Gesamtsystems.
Ich teile diese Position, kritisiere mitnichten die Wirtschaft an sich, sondern nur die Form, die eine kapitalistische in einer spezifischen Bedeutung ist, nämlich die allein auf Wirtschaftsvergrößerung aus ist und sich gegenüber anderen Interessen absolut setzt. Wenn die erwirtschafteten Produkte und Dienstleistungen wie gesagt selbst nicht in Frage gestellt werden (=Gebrauchswertkritik), sondern nur noch deren Verteilung, wie es immer noch traditionelle Linke und die Gewerkschaften tun, dann ist das keine aktuelle, sondern veraltete Kapitalismuskritik.
Das herrschende System der Gegenwart besteht im Kern aus den Momenten Bequemlichkeit, Wirtschaftswachstum und Motore. Genauer: Die Bequemlichkeit ist das Hauptmotiv für schlechte Veränderungen. Motore ermöglichen heute im großen Umfang die Bequemlichkeit in Form von motorisierter Mobilität und elektronischer Medien, beide haben heute Suchtcharakter angenommen. Das Wirtschaftswachstum stellt die Suchtmittel auf Dauer her, was sich aber, was die Dauer betrifft, aus ökologischen und gesundheitlichen Gründen als Irrtum erweisen wird.. Die Ideologie des Wirtschaftwachstums ist weltweit die dominierende Wirtschaftstheorie, die nicht wesentlich kritisiert wird. Bolzonaro lässt in Brasilien Wälder im Amazonasgebiet verbrennen bzw. zumindest toleriert es, Trump fährt in den USA den Naturschutz konsequent zurück. Beide begründen das wie die Befürworter des Hotel- und Parkhausprojekte in Flensburg genau besehen mit Argumenten des Wirtschaftwachstums, nicht mit wirtschaftlichen realen Bedürfnissen. Jede neu erbaute Autobahn wird als Fortschritt begrüßt. Warum durchschauen das so wenige Bürger? Die Gleichsetzung von Bedarfswirtschaft und ständiger Vermehrungswirtschaft beruht auf einer schlechten Abstraktion, weil sie die Differenz beider Wirtschaftsformen verdeckt bzw. unbemerkt lässt. Auch deswegen, weil die ökologischen Zerstörungen in rechtstaatlichen Gesellschaften überwiegend legal stattfinden. Es bedarf deshalb hier einer zusätzlichen Reflexion, die die Frage nach der Legitimität der erworbenen Waren und Dienstleistungen stellt. Sind Laubsauger, Schottergärten, Silvesterböller, Fernreisen, übergroße Bildschirme, Erdbeeren im Winter in Zeiten des Klimawandels und vieles mehr legitim? Den modernen Inbegriff dieser vom Kapital vermittelten Bedürfnisse sehe ich im SUV, dessen Neuzulassungen ständig neue Rekorde erreichen. Das zu bedenken und evolutionär zu ändern, wird Zukunft ermöglichen.
UnterstützerInnen für Mahnwache gesucht
Für die Mahnwache am Bahnhofswald suchen die Bürgerinitiative und die WaldbesetzerInnen noch helfende UnterstützInnen. Wer also Lust dazu hat, melde sich bitte am Infostand auf dem Parkplatz am Bahnhofswald.
Kontakt zu den Aktivist*innen der Waldbesetzung:
rodung@nirgendwo.info
Twitter: @boomdorp
Bürgerinitiative Bahnhofsviertel Flensburg: https://bahnhofsviertelflensburg.wordpress.com/
Weitere Infos und Beiträge zum Thema Hotel- und Parkhausprojekt am Flensburger Bahnhofswald auch hier
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