Differentialismus, Kulturalismus und Genderismus als Alternative zu sozialemanzipatorischer Politik?

Eine Beitrag von Jörg Pepmeyer

Ich halte von Identitätspolitik oder besser gesagt kulturalistischer Politik nicht viel, weil sie mit der Betonung der kulturellen, ethnischen und sexuellen Differenz versucht Forderungen in der Gesellschaft durchzusetzen, die das Gemeinsame und letztlich auch die grundlegenden gesellschaftlichen Widersprüche ausklammert. Dazu gehört insbesondere auch der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen arm und reich und die an ihn anknüpfenden Macht- und Herrschaftskonflikte.

Illustration: Jörg Pepmeyer

Zusätzlich wird die Sprache im politischen Konflikt zu einer Waffe, werden Deutungshoheiten über die Neukontextuierung von Begriffen und gruppenspezifischen Sprach- und Kommunikationsregeln geschaffen. Das führt zu einer lebensweltlich und politisch hochgradig polarisierten und fragmentierten Gesellschaft. Mit dieser Spaltung gibt es auch keinen politischen und solidarischen Konsens mehr zu zentralen Zukunftsfragen oder gemeinsamen Entwicklungsperspektiven der Gesellschaft, sondern jede Gruppe versucht individuell ihre Interessen durchzusetzen. Wer sich da nicht entsprechend elaboriert lautstark äußern und politisch organisieren kann, fällt mit seinen Problemen und Forderungen hinten runter und sucht sich im schlechtesten Fall Vertretungsinstanzen bei der Rechten. Im anderen Fall verzichten diese Menschen resignierend auf die politische und demokratische Teilhabe.

Noch problematischer, bei der neofeministischen und der ethnozentrierten antirassistischen Politik besteht die Gefahr mit Ungenauigkeiten und Verallgemeinerungen über staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung neue Konflikte zu initiieren, die Wasser auf die Mühlen der Rechten und AfD sind, die ja eine Identitätspolitik von rechts betreiben. Ob es dann noch möglich ist, gemeinsam für eine sozial gerechte und faire Gesellschaft für alle zu streiten, wage ich zu bezweifeln. Man könnte auch sagen, ganz bestimmte, politisch und wirtschaftlich potente Gruppen in der Gesellschaft profitieren von dieser besonderen Art der Zuspitzung gesellschaftlicher Widersprüche. Nach dem Motto: „Divide et impera“.

Richard Rorty, US-amerikanischer Philosoph und Pragmatist, hat sich bereits Ende der neunziger Jahre intensiv mit diesem Problem in seinem Buch: „Stolz auf unser Land: Die amerikanische Linke und der Patriotismus“ (Original: Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth-Century America) beschäftigt. Kritisch setzt er sich im Kapitel The cultural left mit den kulturalistischen Politik der US-Linken auseinander. Seine zentrale Kritik an ihr: „leftists in the academy have permitted cultural politics to supplant real politics, and have collaborated with the right in making cultural issues central to public debate.“ Und er hat  damals die These aufgestellt, dass mit einer derartigen Politik die Gefahr bestünde, dass ein erheblicher Teil der US-Bevölkerung, vor allem die weiße, pauperisierte Arbeiterschaft und abstiegsverängstigte Mittelschicht, sich nicht mehr vertreten sieht und einen rechtspopulistischen US-Präsidenten ins Amt bringen könnte, was sich mit der Wahl Donald Trumps Jahre später dann auch bestätigt hat.

Ich möchte nicht Ähnliches in Deutschland erleben.

Eine vorzügliche Dramaturgie des Neoliberalismus

Ein Kommentar zum obigen Beitrag von Niki Müller

Die Ausblendung bzw. Vernachlässigung ökonomischer Grundfragen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist wesentlicher Faktor der Erfolgsstory der Rechten. Eine vorzügliche Dramaturgie des Neoliberalismus. Die Reduzierung der politischen Auseinandersetzung auf Selbstsorge, der Tunnelblick auf die Identität und die Zuspitzung auf partikulare Differenzen etc. wirken verheerend auf die notwendige Formierung gemeinsamer solidarischer Aktionen. Die Akteure suchen und – schlimmer noch – finden Schuldige am falschen Ort oder gar in den eigenen Reihen. Im vernebelten Terrain bleiben die Ursachen für Ausbeutung, Unterdrückung und Ungleichheit unerkannt. Im besten Fall führt dieser Weg in die Sackgasse, im schlimmsten an/in den Abgrund. Den Suchenden zu helfen erfordert deshalb auch, die Suche nach denen aufzunehmen, die die Nebel- und Blendgranaten in die Menge werfen. Das heißt, vom Allgemeinen ins Konkrete vorzudringen.
Der interessante Beitrag von Jörg Pepmeyer beleuchtet einiger dieser Aspekte. Dafür sei ihm gedankt. Es wäre schön und vor allem notwendig, dieses wichtige Thema zu vertiefen.

Ebenso ein Kommentar dazu von Siglinde Cüppers

Vielen Dank für den Beitrag und den Kommentar dazu. „Im vernebelten Terrain“ bleibt es bei sinnentleehrten Blasen, denn es fehlt Konkretes wie z.B einzutreten für „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“, Der Tariflohn ist der Mindeslohn“, Herabsetzung der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Tariflohnausgleich“, „Renteneintrittsalter mit 60 Jahren mit einer Mindesrente von 1.500 Euro unabhängig von Beitragsjahren und Beitragszahlung“, „Bezahlbaren und bewohnbaren Wohnraum für alle“, Kostenlose Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs“ usw. Diese Errungenschaften sind genderneutral unabhängig von der Nationalität und Hautfarbe. Sie kommen allen zugute, die hier leben. Sie gewähren allen Teilhabe als mündige Bürger*innen und verhindern Armut, Obdachlosigkeit, und die Schmach, bei Behörden um die Existenzsicherung bitten. Wer solche berechtigte Forderungen gar nicht stellt, geschweige denn darum politisch kämpft, will bestehende Verhältnisse gar nicht verändern. Wer meint, dafür sei kein Geld da, tritt für die Sache der Herrschenden ein.

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Veröffentlicht am 8. Oktober 2021, in Flensburg News. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 2 Kommentare.

  1. Siglinde Cüppers

    Vielen Dank für den Beitrag und den Kommentar dazu. „Im vernebelten Terrain“ bleibt es bei sinnentleehrten Blasen, denn es fehlt Konkretes wie z.B einzutreten für „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“, Der Tariflohn ist der Mindeslohn“, Herabsetzung der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Tariflohnausgleich“, „Renteneintrittsalter mit 60 Jahren mit einer Mindesrente von 1.500 Euro unabhängig von Beitragsjahren und Beitragszahlung“, „Bezahlbaren und bewohnbaren Wohnraum für alle“, Kostenlose Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs“ usw. Diese Errungenschaften sind genderneutral unabhängig von der Nationaöität und Hautfarbe. Sie kommen allen zugute, die hier leben. Sie gewähren allen Teilhabe als mündige Bürger*innen und verhindern Armut, Obdachlosigkeit, und die Schmach, bei Behörden um die Existenzsicherung bitten. Wer solche berechtigte Forderungen gar nicht stellt, geschweige denn darum politisch kämpft, will bestehende Verhältnisse gar nicht verändern. Wer meint, dafür sei kein Geld da, tritt für die Sache der Herrschenden ein.

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  2. Die Ausblendung bzw. Vernachlässigung ökonomischer Grundfragen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist wesentlicher Faktor der Erfolgsstory der Rechten. Eine vorzügliche Dramaturgie des Neoliberalismus. Die Reduzierung der politischen Auseinandersetzung auf Selbstsorge, der Tunnelblick auf die Identität und die Zuspitzung auf partikulare Differenzen etc. wirken verheerend auf die notwendige Formierung gemeinsamer solidarischer Aktionen. Die Akteure suchen und – schlimmer noch – finden Schuldige am falschen Ort oder gar in den eigenen Reihen. Im vernebelten Terrain bleiben die Ursachen für Ausbeutung, Unterdrückung und Ungleichheit unerkannt. Im besten Fall führt dieser Weg in die Sackgasse, im schlimmsten an/in den Abgrund. Den Suchenden zu helfen erfordert deshalb auch, die Suche nach denen aufzunehmen, die die Nebel- und Blendgranaten in die Menge werfen. Das heißt, vom Allgemeinen ins Konkrete vorzudringen.
    Der interessante Beitrag von Jörg Pepmeyer beleuchtet einiger dieser Aspekte. Dafür sei ihm gedankt. Es wäre schön und vor allem notwendig, dieses wichtige Thema zu vertiefen.

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