
Am Dienstag, 25. Mai 2021, fand im Europa-Raum des Flensburger Rathauses die erste Sitzung des frischgebackenen Wirtschaftsbeirats statt. Neben den politischen Vertreter:innen waren “Akteure der Stadt” eingeladen worden, “z.B. WiREG, IHK, HWK, Arbeitgeberverband, TAFF und Gewerkschaften” (s.u.). Mit ihnen soll künftig eine “übergeordnete Diskussion” zu relevanten wirtschaftlichen Themen stattfinden.
Ein erstes Fazit: Die krass männlich dominierte Rund sorgte neben Erwartbarem durchaus auch für Überraschungen. Dabei kann der Wirtschaftsbeirat keine Beschlüsse fassen, aber Beschlussvorschläge weitergeben.
TOP 1: Vorstellungsrunde und Wünsche
Gegenüber den Versammelten saßen der Vorsitzende des Beirats, Arne Rüstemeier (CDU), Oberbürgermeisterin Simone Lange, Claudia Takla Zehrfeld, Fachbereichsleiterin Stadtentwicklung und Klimaschutz, und Wirtschaftskoordinator Sönke Krüger, Leiter der Stabsstelle Wirtschaft, Marketing und Internationale Zusammenarbeit. Jugendpressesprecher Justin Nowaczyk musste das Treffen zeitig wieder verlassen.
Illustre männliche Runde mit klaren Vorstellungen
Zum Wohle der Stadt Flensburg sei man hier zusammengekommen, begrüßte Arne Rüstemeier zu Beginn die Gäste. Sie hätten Vorrang und man wolle ihnen zuhören. Was ihre Wünsche und Erwartungen seien?
Die Geladenen ließen sich nicht lange bitten. Lokalpolitik und Stadtverwaltung durften Punkte sammeln für die Einrichtung des Beirats und bekamen gleich die Wunschliste mit:
- Helmut Ermer, Vizepräsident und Geschäftsführer der IHK Flensburg, begrüßte die Gründung dieses Beirats. Er wünsche sich eine vorurteilsfreie und offene Diskussion und bot das Wissen der IHK zur Nutzung an. Ziel sei, das Investitionsklima vor Ort zu verbessern.
- Rechtsanwalt Jens Polenz, Justitiar des Arbeitgeberverbands, wünschte sich konkrete Sacharbeit und klare Zeitlinien zur Erledigung.
- Entscheidungen müssten flexibler und die Umsetzung schneller werden, bestätigte Hans-Peter Hansen, DEHOGA. Da sei “noch viel Platz nach oben”. Tourismusmäßig müsse jetzt Gas gegeben werden.
- Dr. Christoph Jansen, Präsident der Hochschule Flensburg, bot Expertise und Engagement der Hochschule Flensburg und ihrer rund 4000 Studierenden zur Unterstützung an, um die Wirtschaft voranzubringen.
- DGB Regionsgeschäftsführerin Gabriele Wegner wies darauf hin, dass auch die Rechte der Arbeitnehmer:innen mitgedacht werden müssten.
- Björn Geertz, Geschäftsführer der Handwerkskammer Flensburg, versprach, Kammer und die Kreishandwerkerschaften würden sich gerne an der Zusammenarbeit beteiligen und Entscheidungen mittragen.
- Michael Otten, Geschäftsführer der WiREG (Wirtschaftsförderung der Stadt Flensburg und des Kreises Schleswig-Flensburg) stellte fest, dies Forum sei notwendig und der Austausch wichtig. Flensburg sei ein starker Wirtschaftsraum und solle es bleiben. Der Input, der hier an Politik und Verwaltung herangetragen werden könne, sei sehr wichtig.
TOP 2: Corona und die Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft
Helmut Ermer schilderte seine Erfahrungen als Wirtschaftsprüfer. Der erste Lockdown sei ein Schock gewesen. Es habe erhebliche Probleme gegeben in Handel, Gastronomie, Industrie und Tourismus. Im letzten Sommer habe man dann aufgeholt und sei “mit einem hellblauen Auge” davongekommen. Im zweiten Lockdown habe sich manches verbessert bei den Krediten und Hilfen, dennoch hätten manche Betriebe immer noch nicht die Novemberhilfe erhalten.
Wichtig sei, dass Flensburg gut erreichbar sei für Berufs- und Einkaufsverkehr aus Dänemark sowie Tourismus. Werbung würde nicht reichen, gute Nahverkehrskonzepte würden gebraucht und zwar für die ganze Region. In Flensburg müsse man beginnen, größer zu denken.
Günther Görrissen von der Kreishandwerkschaft Flensburg klagte über die als übermäßig empfundene Bürokratie und Preissteigerungen im Bau, die Bauvorhaben erschwerten. Doch die meisten Handwerker hätten so einigermaßen überlebt.
Dank von OB Simone Lange
Oberbürgermeisterin Simone Lange ergriff das Wort, um vor allem “Danke” zu sagen. Zur Bewältigung der Corona-Krise habe man praktisch mit allen Akteuren hier im Raum konstruktiv zusammengearbeitet. Sie wolle diese Unterstützung würdigen. Man müsse die Erfahrungen und Erkenntnisse nutzen für den nächsten Winter. “Wir wollen wieder gestalten und noch erfolgreicher sein”, erklärte sie. Das Geschehen um den Bahnhofswald sei unglücklich gewesen, es gebe aber auch viel Positives in der Stadt. Diese Stärken müsse man auch wahrnehmen.
Wünsche an die kommende Zusammenarbeit: Mehr Umsetzung und Weitblick angemahnt
Wie sich die Zusammenarbeit von Politik bzw. Verwaltung und diesem Gremium gestalten könne, fragte Justus Klebe, SPD, nach.
Pragmatische und sachorientierte Entscheidungen und ihre Umsetzung seien wichtiger als grundsätzliche Diskussionen, stellte Jens Polenz vom Arbeitgeberverband fest. “Weil ich da einen Fahrradhelm sehe”, führte er den Radverkehr als Negativbeispiel an: Es sei ungut, wenn wichtige Infrastrukturprojekte ständig auf “irgendwann später” verschoben würden. Man müsse auch das Gefühl haben, dass einmal etwas umgesetzt werde.
Arne Rüstemeier und Simone Lange entschuldigten die Verzögerungen mit Planungsbedarf und dem Zwang zu einem ausgeglichenen Haushalt.
Helmut Ermer griff das Thema Mobilität ebenfalls auf. Man müsse langfristig und strategisch denken. Durch die Fehmarnbeltquerung führen die Verkehrswege Richtung Skandinavien künftig an Flensburg vorbei. Die Stadt müsse so attraktiv werden, dass die Leute trotzdem kommen. Der Verkehr müsse klimafreundlich werden und der Nahverkehrsplan das Umland einbeziehen. Diese Ziele müssten klar sein, denn Infrastruktur sei nun einmal ein langfristiges Projekt.
Jens Polenz mahnte auch die verstärkte Zusammenarbeit mit den Kreisen an, z.B. in Bezug auf Gewerbeflächen.
Abschließend kündigten OB Simone Lange und Arne Rüstemeier eine Überprüfung der Flensburg-Strategie an (Flensburg-Strategie – mehr). Dabei gehe es auch darum, welche Strategien im Bereich der Wirtschaft nötig seien.
TOP 4: Innenstadtmanager und Innenstadtbeirat: Attraktive Innenstadt als Ziel
Für ihn gebe es jede Menge zu tun, erläuterte der neue Innenstadtmanager Bela Bergemann: Vom Anwachsen des Online-Handels über Leerstände, soziale Missstände und Problemen mit dem Verkehr. Im neuen Innenstadtbeirat solle mit Zuständigen aus Handel, Gastronomie, Tourismus und Stadtteilforen Empfehlungen und Vorschläge entwickelt werden. Ziel sei eine attraktive, lebendige Innenstadt.
Etabliert werden solle dafür ein Controlling, damit Entscheidungen nicht aus dem Bauchgefühl heraus erfolgten. Derzeit werde am Einzelhandelskonzept gearbeitet, das Flensburg als Einkaufsstadt attraktiver machen soll. Seinen künftigen Arbeitsplatz werde er in der Innenstadt einrichten, damit er dort auch ansprechbar sei.
TOP 5: Smart City/Smart Region: Digitales Leitbild
OB Simone Lange informierte über einen umfangreichen Förder-Antrag der Stadt gemeinsamen mit den Kreisen Schleswig-Flensburg und Nordfriesland für das Förderprogramm SmartCity mit einem Gesamtvolumen von 17 Millionen Euro. Dabei gehe es um die Entwicklung eines digitalen Leitbilds: Wo wollen wir hin? Welche Maßnahmen sind nötig? (Ratsinfo Flensburg: Vorgang RV-22/2021 – mehr)
Ausgangspunkt sei die Arbeit an der digitalen Agenda für die Stadt Flensburg, den die Stadt aktuell durchführt. Der Prozess solle in der Region mit den Schwerpunkten Stadtverwaltung, Gesundheit und Tourismus weitergeführt werden. Auch wenn der Antrag nicht erfolgreich sei, wolle man das weiter verfolgen. Unterstützung und Mitarbeit sei dabei gewünscht.
TOP 6: Auswirkungen der Pandemie mindern
Man brauche einen Neustart nach der Pandemie, stellte OB Simone Lange fest, Man müsse aus der Krise lernen und weitermachen. Sie freue sich, schon einmal weitergeben zu können, dass die Maskenpflicht in der Innenstadt in Kürze aufgehoben werde.
In der Stadtverwaltung habe man die Konsequenzen gezogen und sei dabei, die notwendigen Digitalisierungsprozesse Schritt für Schritt abzuarbeiten. Probleme bei der Stellenbesetzung im Gesundheitshaus – die Stelle eines Amtsarztes ist unbesetzt – seien leider ein landesweites Dilemma und hingen mit entsprechenden gesetzlichen Vorgaben zusammen. Man unterstütze die Verantwortlichen dort nach Kräften.
Flensburg muss ansprechender werden: Schiffbrücke und Norderstraße als Negativbeispiele
Helmut Ermer forderte, die Stadt Flensburg müsse noch gemütlicher und ansprechender für die Touristen werden. Alle Chancen seien da. Es brauche ein Konzept für die Schiffbrücke zur Nutzung für Gäste und Einwohner:innen statt einem Parkplatz. Die Norderstraße sei so schön, aber vollgeparkt. Bauanträge müssten beschleunigt werden, die Bürokratie müsse smarter, die Verwaltung schneller werden.
Sein Vorschlag an die Stadt: Ein Moratorium für Steuererhöhungen verkündigen, um Handel und Gewerbe ein klares, positives Signal zu vermitteln.
Sönke Krüger wies darauf hin, dass viele Innenstadt-Immobilien in Händen von Eigentümern von außerhalb seien, die vor allem ihre Rendite im Blick hätten. Solche Mietpreise könnten inzwischen nur noch Geschäfte mit hohem Umsatz zahlen. Auch das sei für Leerstände bzw. die geringe Auswahl an Geschäften verantwortlich.
TAFF-Chef Gorm Casper gab ein sehr positives Ergebnis bei den Gästebuchungen weiter. Er klagte aber auch, dass durch aufwändige, teils widersprüchliche Vorgaben für Tests und Nachweise und fehlende Informationen ein enormer Aufwand bei den Beherbergungsbetrieben entstehe. Hilfreich wäre es, wenn es auch in den späten Abendstunden noch offene Teststationen gäbe, wo man sich bei Bedarf einen Nachweis holen könne.
Hauptkritikpunkte von Gästen: Fehlende Aufenthaltsqualität und wenig Vielfalt bei Geschäften
Jens Polenz merkte an, die Innenstadt biete zwar eine schöne Kulisse, sei aber für den motorisierten Individualverkehr schlecht erreichbar. In den Einkaufszentren dagegen könne kostenlos geparkt werden. Man müsse “ganzheitlich” denken, denn niemand wolle auf sein Auto verzichten.
Als Antwort gab Sönke Krüger aktuelle Erkenntnisse aus Befragungen zum Zentren- und Einzelhandelskonzept weiter. Man verallgemeinere oft eigene Ansichten und das eigene Bauchgefühl. Die Hauptkritikpunkte der Gäste bei der Befragung durch das Zentren- und Einzelhandelskonzept waren jedoch fehlende Aufenthaltsqualität und mangelnde Vielfalt an Geschäften. Eine schlechte Erreichbarkeit durch Auto- bzw. öffentlichen Verkehr rangierte erst an sechster oder siebter Stelle.
Die Kritik von Jens Polenz an einer, wie er es sah, Überbewertung des Denkmalschutzes beantwortete OB Simone Lange. Sie stellte fest, dass dem Eigentümer der Baustelle in der Unteren Adelburger Straße zum einen die Denkmalschutzauflagen vor dem Kauf bekannt waren. Zum anderen könne dort durchaus mit dem Bau gestartet werden.
Man nütze Ermessensräume auch aus. Als Beispiel nannte sie die sehr kurzfristig angemeldete Innenrenovierung des Bahnhofs. Die Bahnhofshalle sei “historisch aussehend” renoviert worden, nicht historisch. Sie wünsche sich im übrigen, dass dort endlich auch die Toiletten saniert würden.
TOP 7: Weitere Mitglieder für den Bereich Klimaschutz?
Arne Rüstemeier bat um Vorschläge für die Erweiterung des Gremiums. Hintergrund ist eine Selbstverpflichtung der Kommunalpolitik, auch Mitglieder für den Bereich Klima zu berufen. Auf diese Weise soll die Bekämpfung der Klimakrise auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung in Flensburg zur Geltung kommen, so der Beschluss im Hauptausschuss am 2. Februar 2021 (Ratsinfo Flensburg – mehr).
OB Simone Lange nannte als Beispiel eine:n Vertreter:in des Klimapakts. Von Gewerkschaftsseite kam der Vorschlag, ein Mitglied von Fridays for Future einzuladen. Weitere Vorschläge waren eine Person, die für die Immobilieneigentümer oder für das Arbeitsamt sprechen könnte. Die Berufung und Abberufung kann durch einfache Mehrheit des Wirtschaftsbeirats vorgenommen werden.
Ende des öffentlichen Teils
Nachdem es keine weiteren Anfragen oder Anregungen gab, schloss damit der öffentliche Teil gegen 18:00 Uhr. Die Themen im nichtöffentlichen Teil waren aktuelle wirtschaftliche Herausforderungen, Gewerbeflächenentwicklung und die weitere Arbeit des Wirtschaftsbeirats.
Stadt Flensburg