Öffentliche Debatte um Denkmal für Deserteure in Flensburg

Kulturausschuss und Ratsversammlung sollen über Aufstellung entscheiden

Nachdem die öffentliche Debatte um die Aufstellung eines Denkmals für Deserteure in Flensburg an Fahrt aufgenommen hat, gibt es mittlerweile zwei Anträge für die kommende Kulturausschuss-Sitzung am 8. März und für die Sitzung der Ratsversammlung am 22. März. Dumm nur, dass beide Anträge, gestellt jeweils von den Grünen und Linken sowie von der SPD, faktisch inhaltlich gleich sind. Warum man sich nicht bemüht hat, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu formulieren, bleibt ein Geheimnis der Antragsteller. Die AKOPOL-Fraktion unterstützt die Aufstellung des Denkmals im öffentlichen Raum ohne wenn und aber und hält es für notwendig, mit allen Fraktionen gemeinsam einen enstprechenden Antrag im Kulturausschuss und auf der kommenden Ratsversammlung zu verabschieden.

Untenstehend dokumentieren wir zwei (leider in der größten Flensburger Tageszeitung nicht erschienene) Leserbriefe zum Thema sowie Zeitungsartikel und die beiden Anträge.

Leserbrief

von Ingeborg Czapla am 14.2.12 eingeschickt

Deserteur-Denkmal

Dieses Mahnmal ist keine Aufforderung für Bundeswehrangehörige, zu desertieren!

Das geht eindeutig aus dem Text auf der Bronzeplatte hervor: „Denk-Mal für Menschen, die sich nicht missbrauchen liessen für einen verbrecherischen Krieg“.

Insofern meint das Denkmal nicht nur Deserteure der Wehrmacht, sondern betrifft die Gegenwart. Wir machen uns heute schuldig, indem wir Deserteuren Asyl verweigern.

Asylanträge werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit der Begründung abgelehnt: “ Bestrafung wegen Desertion stellt keine politische Verfolgung dar“. Und auch die Gerichte entscheiden nach dieser Maxime.

500.000 Menschen desertierten im jugoslawischen Bürgerkrieg aus diversen Armeen. Tausende, die nach Deutschland kamen, wurden zurückgeschickt. Deutsche Behörden entschieden, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben, sondern im Gegenteil an die Kriegsparteiuen überstellt werden müssten. Deserteure aus dem dem Tschetschenien-Krieg, dem Krieg zwischen Armenien und Aserbeidschan wurden ebenfalls in ihre Länder zurückgeschickt und den Behörden übergeben.

Dort wurden sie zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Im Irak desertierten 200.000 Menschen. Sie wurden ausgeliefert und nach islamischem Recht abgeurteilt. Es wurde ihnen die rechte Hand abgehackt, oder ein Ohr abgeschnitten. Auf die Stirn wurde ihnen ein X mit heissem Eisen eingebrannt..

Unser Grundgesetz sagt: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“. Es steht dort nicht:: „kein Deutscher darf gezwungen werden“.

In Lybien und Syrien waren und sind die Deserteure die wichtigste Hoffnung der Menschen. Wir sollten sie ermutigen und ehren, ihnen sicheren Schutz und eine Perspektive bieten, statt sie weiter als Straftäter anzusehen und ihren Verfolgern auszuliefern.

Ein Mahnmal für Deserteure ist überfällig. Besonders in der „Reichshauptstadt Flensburg“. 30 andere Städte haben seit Jahren so ein Mahnmal (siehe auch unter: www.pk-deserteure.at ).Hat denn Flensburg immer noch nichts gelernt?

Leserbrief

Zu: Ein Denkmal, das keiner haben will – Antwort auf den Leserbrief vom Thilo Rüder vom 15.2.12 im Flensburger Tageblatt

In seinem Leserbrief vom 15.2. behauptet Herr Rüder, die Wehrmachts-Deserteure seien „fast ausschließlich“ geflohen, um sich der Verurteilung für „kriminelle Machenschaften“ zu entziehen; für solche Leute bräuchten wir in Flensburg kein Denkmal.

Anscheinend hat Herr Rüder die Entwicklung der letzten 20 Jahre gar nicht mitbekommen, die derzeitige Wanderausstellung über die Militärjustiz der Wehrmacht im Rathaus und die begleitenden Vorträge nicht zur Kenntnis genommen, sonst könnte er diesen längst widerlegten Unsinn nicht weiter verbreiten. Tatsache ist, dass der Deutsche Bundestag 2002 mit überwältigender Mehrheit die Urteile der Militärjustiz über Deserteure alle als Unrechtsjustiz gebrandmarkt und aufgehoben und die Deserteure rehabilitiert hat. Aus guten Gründen: die Schwere der persönlichen Schuld spielte bei ihren Urteilen keine Rolle, entscheidend war der Druck der militärischen Führung, durch extrem harte Urteile gegen jeden, der nur 24 Stunden unerlaubt der Truppe fernblieb, die Disziplin und beliebige Einsetzbarkeit der Truppe durchzusetzen. Wenn Herr Rüder behauptet, die Hälfte der Deserteure sei schon vorbestraft eingezogen worden, dann muss dazu gesagt werden, dass es im NS-System auch im Zivilleben durchaus ehrenhaft sein konnte, nicht angepasst zu sein! Wofür wurde man da nicht alles bestraft – deshalb trauten sich doch so Viele nicht aufzumucken! Umgekehrt muss man wohl fragen, ob nicht auch manche der Soldaten, für die hier überall Kriegerdenkmäler stehen, an Verbrechen ganz anderer Art als Schwarzmarkt-Geschäften beteiligt waren. Lesen Sie in dem Buch „Soldaten“ von SÖNKE NEITZEL und HARALD WELZER, wie sich deutsche Wehrmachtssoldaten über ihre Tätigkeit selbst geäußert haben, da wird Ihnen schlecht!

Im Übrigen ist es unerheblich, aus welchen Gründen im Einzelnen jemand sich der Teilnahme an einem Verbrechen entzieht. Dass er nicht mitmacht, unter Einsatz seines Lebens, ist eine zu ehrende Tat. Darum geht es bei dem Denkmal, über dessen Aufstellung wir reden: um Menschen, die sich nicht missbrauchen ließen für einen verbrecherischen Krieg. Ob es Hitlers Vernichtungskrieg im Osten war oder der Krieg, den zur Zeit Assad gegen das eigene syrische Volk führt, oder die Bruderkriege auf dem Balkan in den 90er Jahren. Für diese Menschen braucht gerade Flensburg ein Denkmal, davon bin ich überzeugt.

Dr. med. Helmreich Eberlein
24941 Flensburg

Untenstehend die beiden Anträge und Zeitungsartikel:

Antrag Grüne/DIE LINKE Antrag Grüne LINKE Deserteursdenkmal   Antrag SPD Beschlussvorlage_SPD_KA-4-2012

Zeitungsartikel Mahnmal1  Mahnmal2 Mahnmal3

Über akopol

Netzwerk für mehr Öffentlichkeit, Transparenz und Demokratie in Flensburg

Veröffentlicht am 1. März 2012 in Bürgerbeteiligung, Bildung, Flensburg News, Kultur und mit , , , , , , , , , , , , , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Ein Kommentar.

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